20.1.2023 – Der Begriff „Ausnahmesituation“ in Rechtsschutzbedingungen sei zu wenig definiert, Verbraucher würden deshalb mögliche Ansprüche nicht geltend machen, so der OGH. Der Begriff „Katastrophe“ sei dagegen klar, der Verbraucher werde nicht in seiner Rechtsposition getäuscht. Eine Klausel, die ein Abtretungsverbot von Forderungen vorsieht, ist zulässig, eine Ausschlussfrist, die auf einen objektiv fristauslösenden Zeitpunkt abstellt, dagegen nichtig.
In einer Verbandsklage nach § 28 KSchG hat der Verein für Konsumenteninformation gegen die Verwendung mehrerer Klauseln in den „Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2018)“ eines Rechtsschutzversicherers geklagt.
Der Fall landete beim Obersten Gerichtshof (OGH).
In seiner rechtlichen Beurteilung verweist der OGH darauf, dass die Auslegung von Klauseln im Verbandsprozess im kundenfeindlichsten Sinn zu erfolgen hat und auf eine teilweise Zulässigkeit beanstandeter Klauseln nicht Rücksicht genommen werde.
Der VKI forderte in der Klage, dem Versicherer die Verwendung dieser oder sinngleicher Klauseln im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu untersagen. Erst- und Berufungsgericht gaben der Klage zu diesem Punkt statt, der Versicherer legte dagegen Revision beim Obersten Gerichtshof ein.
Dem Begriff der Ausnahmesituation mangle es an einer näheren Definition, so der OGH. Die vom Versicherer herangezogene Definition des „Duden“, wonach es sich um eine „außergewöhnliche, unübliche und eine Ausnahme darstellende Situation“ handle, verwende selbst nur unbestimmte Begriffe.
Aufgrund dessen könne der Verbraucher die Reichweite des Risikoausschlusses und damit seine Rechtsposition nicht verlässlich abschätzen; es bestehe die Gefahr, dass er deshalb davon absieht, allenfalls berechtigte Ansprüche geltend zu machen. Die Klausel ist nach § 6 Abs. 3 KSchG intransparent.
Anders verhalte es sich mit dem Begriff „Katastrophe“, so der OGH. Dieser habe im allgemeinen Sprachgebrauch eine verständliche Bedeutung und charakterisiere ein besonders schweres Schadensereignis, ohne nach dessen Ursachen zu differenzieren.
Die in der Klausel vorgenommene Konkretisierung entstamme dem burgenländischen Katastrophenhilfegesetz; verwende ein Unternehmer zur Aufklärung der Verbraucher einen Gesetzeswortlaut in nicht irreführender Weise, könne keine darüber hinausgehende Anforderung an die Textverständlichkeit gestellt werden.
Da der verwendete Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch verankert sei, werde der Verbraucher durch die Ausnahme der Katastrophe aus dem Versicherungsschutz nicht über die Rechtsfolgen getäuscht oder ihm ein unzutreffendes bzw. unklares Bild seiner vertraglichen Position vermittelt.
Ob eine Klausel als eigenständig zu qualifizieren sei, hänge davon ab, ob ein materiell eigenständiger Regelungsbereich vorliegt. Hier enthalte die Klausel zwei materiell eigenständige Regelungsbereiche, einerseits die hoheitsrechtlichen Anordnungen, andererseits den Risikoausschluss für Katastrophen.
Die Klausel „Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit Katastrophen […]“ sei gesondert zu betrachten; sie sei weder intransparent noch gröblich benachteiligend.
Auch diese vom VKI inkriminierte Klausel wurde vom Erstgericht als gröblich benachteiligend beurteilt; sie verhindere, dass Musterprozesse im Fall geringwertiger Ansprüche, die ein Verbraucher dem Verband abgetreten hat, einer Klärung durch den Obersten Gerichtshof zugeführt werden, wie dies § 502 Abs. 5 Z. 3 ZPO vorsehe.
Das Berufungsgericht erachtete die Klausel dagegen als zulässig; das Führen eines Musterprozesses werde durch sie nur zeitlich hinausgeschoben, aber nicht unmöglich gemacht. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Revision des VKI vor dem Obersten Gerichtshof.
Dieser betont einleitend, dass er bereits öfters Zessionsbeschränkungen in Allgemeinen Versicherungsbedingungen als zulässig beurteilt habe. Das Abtretungsverbot gewährleiste, dass der Versicherer bei der Abwicklung des Schadensfalls nur mit seinem Vertragspartner zu tun hat.
Entscheidend sei allerdings, dass Verbands-Musterklagen auch nach § 502 Abs. 5 Z. 3 ZPO nur solche Ansprüche zum Gegenstand haben können, die rechtswirksam abgetreten werden können.
Bei der Rechtsschutzversicherung sorge der Versicherer für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers, geboten werde Versicherungsschutz gegen die Belastung des Vermögens des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten.
Die Hauptleistungspflicht des Versicherers bestehe dabei in der Kostentragung. Der dem Versicherungsnehmer zustehende Leistungsanspruch sei ein Freistellungsanspruch, der sich unter bestimmten Voraussetzungen in einen Kostenerstattungsanspruch verwandeln könne.
Vor der Fälligkeit des Leistungsanspruchs könne nur auf Feststellung geklagt werden, dass der Versicherer in bestimmten Angelegenheiten Rechtsschutzdeckung zu gewähren hat. Dieser Feststellungsanspruch habe aber seine Grundlage ausschließlich im Prozessrecht.
Die Abtretung des bloßen Anspruchs, eine Feststellungsklage zu erheben, laufe auf die Übertragung eines reinen Prozessführungsrechts hinaus; eine solche Befugnis, im eigenen Namen einen Prozess über ein fremdes Recht zu führen („Prozessstandschaft“) kenne das österreichische Recht aber nicht.
Eine Abtretung des Feststellungsanspruchs auf Deckung wäre daher unzulässig; das gelte auch für den Freistellungsanspruch, so der OGH. Der Verband könnte bei einer Abtretung nur die Freistellung des Versicherungsnehmers von allfälligen Rechtskosten begehren, was der Übertragung der Klagebefugnis gleichkäme.
Das Verbot der Abtretung von Ansprüchen gegen den Versicherer, bevor diese nicht dem Grunde oder der Höhe nach endgültig festgestellt sind, sei daher nicht gröblich benachteiligend im Sinn von § 879 Abs. 3 ABGB, so der OGH. Der Revision des VKI wurde nicht Folge gegeben.
Eine Ausschlussfrist, die allein auf einen objektiv fristauslösenden Zeitpunkt abstelle, widerspreche der Regelung des § 33 Abs. 1 VersVG, wonach ein Versicherungsnehmer den Eintritt eines Versicherungsfalls, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat, dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen hat.
Aufgrund der Klausel würde ein Anspruch erlöschen, auch wenn der Versicherungsnehmer während der dreijährigen Laufzeit keinen Hinweis darauf habe, dass sich ein Versicherungsfall ereignet haben könnte und er unverzüglich nach Kenntnis des Versicherungsfalles eine Schadensanzeige erstattet.
Die Vorinstanzen hätten die Klausel daher zu Recht als objektiv und subjektiv ungewöhnlich und damit nichtig im Sinne des § 864a ABGB beurteilt, so der OGH.
Die OGH-Entscheidung 7Ob160/22p vom 13. Dezember 2022 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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