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Unfall oder Selbstmord? OGH klärt Streit mit Unfallversicherer

30.4.2024 – Es gebe an der Stelle, an der die Frau zu Tode gekommen ist, keinen Bahnübergang oder Spazierweg, sie habe sich in zusammengekauerter Stellung auf den Bahngleisen befunden und bei Herannahen eines Zuges keine Anstalten gemacht, sich zu entfernen. Damit sei ein Selbstmord deutlich wahrscheinlicher als ein Unfall, so der OGH. Der Versicherer ist leistungsfrei.

Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

Ein Versicherungsnehmer hatte einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen, vereinbart waren die Allgemeinen Bedingungen für die Unfall-Versicherung (AUVB 2008). Seine im November 2021 verstorbene Ehefrau war darin mitversichert.

Als Versicherungsfall galt laut Artikel 6 der Bedingungen der Eintritt eines Unfalls. Ein solcher sollte vorliegen, „wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet“.

Vom Unfallversicherer fordert der Versicherungsnehmer nach dem Tod seiner Frau einen Betrag von knapp 123.000 Euro; der Versicherer lehnte eine Zahlung ab, da gewichtige Umstände für einen Selbstmord der Versicherten sprechen würden.

Daraufhin reichte der Versicherungsnehmer Klage ein; die Vorinstanzen hatten diese abgewiesen, er wandte sich schließlich per außerordentlicher Revision an den Obersten Gerichtshof.

Unfalltod muss sehr wahrscheinlich sein

In seiner rechtlichen Beurteilung erklärt der OGH einleitend, dass den Versicherungsnehmer für das Vorliegen eines Versicherungsfalles die Beweislast trifft. Dafür genüge es, dass er Umstände dartut, die die Möglichkeit eines Unfalls naheliegend erscheinen lassen.

Der Versicherer könne dann Umstände behaupten und beweisen, die dafür sprechen, dass kein deckungspflichtiger Unfall vorliegt, so der OGH. Das treffe beispielsweise dann zu, wenn das die körperliche Schädigung herbeiführende Ereignis nicht unabhängig vom Willen des Versicherten war.

Es sei nicht entscheidend, ob der Unfalltod mit Sicherheit festgestellt werden kann. Es müsse aber ein so hoher, der Gewissheit gleichkommender Grad der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch daran zweifeln kann.

Wenn gewichtige Argumente für die Leistungsfreiheit des Versicherers sprechen, müsse der Anspruchswerber nachvollziehbar beweisen, dass den für einen Selbstmord des Versicherten sprechenden Argumenten andere, gewichtige Argumente, aus denen sich das Gegenteil ableiten lässt, gegenüberstehen.

Kein Bahnübergang oder Spazierweg

Im vorliegenden Fall habe sich die Versicherte im November gegen halb sechs Uhr abends bei Dämmerung in gebückter oder zusammengekauerter Haltung genau in der Mitte von Bahngleisen aufgehalten und beim Herannahen eines Zuges keine Anstalten gemacht, den Gefahrenbereich zu verlassen.

An dieser Stelle gebe es keinen Bahnübergang oder Spazierweg, der über die Gleise führt. Allerdings existiere eine Unterführung, die von jenem Parkplatz, auf dem die Versicherte ihr Fahrzeug abgestellt hatte, leicht erreichbar gewesen wäre.

Theoretisch wäre es auch möglich gewesen, von der anderen Seite her auf die Gleise zu gelangen, so der OGH. Der Weg zu den Gleisen führe aber durch Dickicht, sei beschwerlich und unwegsam. Kein vernünftiger Mensch würde diesen Weg als Abkürzung zum Parkplatz nehmen.

Es sei zwar nicht völlig ausgeschlossen, dass jemand diesen Weg wählt, aber äußerst unwahrscheinlich, da die Unterführung nur wenige hundert Meter entfernt ist.

Beweisergebnisse sprechen für Suizid

Zwar habe die Getötete keinen Abschiedsbrief hinterlassen und ihre psychische Verfassung habe nicht festgestellt werden können, betonen die Höchstrichter. Es gebe aber klare Beweisergebnisse, die für einen Suizid sprechen, während die Annahme eines Unfalls deutlich unwahrscheinlicher sei.

Dem Argument des Versicherungsnehmers, dass der Versicherer für seine Leistungsfreiheit den Ausschlussgrund zu beweisen hat, hält der OGH entgegen, dass es sich im betreffenden Artikel 6 der Bedingungen nicht um einen Ausschluss, sondern um die primäre Risikoumschreibung handle.

Die außerordentliche Revision wurde vom Obersten Gerichtshof mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage daher zurückgewiesen.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 7Ob35/24h vom 6. März 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

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Gesundheitsreform
 
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