24.7.2025 – Der Mathematiker Abraham Wald leistete der US-Luftwaffe wertvolle Hilfe, indem er auf die verzerrte Wahrnehmung der Überlebenschance hinwies, wenn man nur die Überlebenden betrachtet und die Verunglückten vergisst. Das lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen: Bei der Betrachtung von Fondsrenditen sollte man die Titel nicht vergessen, die aus den Indices herausgefallen sind, und bei der Messung der Kundenzufriedenheit auch die Unzufriedenen zu Wort kommen lassen.
Kann man mit Mathematik Kriege gewinnen? Nun, jedenfalls spielt Rechenleistung eine bedeutende Rolle. Und das nicht nur in der hoch-technologisierten Gegenwart, sondern auch früher hat mathematische Kompetenz Vorteile erringen können.
Gehen wir zurück ins Jahr 1943, also mitten in den Zweiten Weltkrieg. Die US-Luftwaffe hatte einige Verluste bei ihren Flugzeugen zu beklagen und suchte Rat bei Wissenschaftlern, die helfen sollten, Schwachstellen an den Flugzeugen zu erkennen. Üblicherweise wandte man sich dabei auch an die Statistical Research Group der Columbia University.
Konkret wollte die US-Luftwaffe wissen, an welchen Stellen man die Flugzeuge verstärken sollte, um Abschüsse reduzieren zu können. Man untersuchte also die zurückgekommenen Flugzeuge und stellte fest, dass sich die meisten Einschusslöcher an den Tragflächen, um die Heckflosse und in der Mitte des Rumpfes befanden. Dort sollten die Flugzeuge also verstärkt werden.
Ein Mitglied der Statistical Research Group war ein rumänischer Jude, der in Wien Mathematik studiert hatte und rechtzeitig in die USA ausgewandert war. Sein Name war Abraham Wald. Ihm wird zugeschrieben, was man heute den „survivorship bias“ nennt und was in Wirklichkeit der US-Luftwaffe natürlich auch schon vorher bekannt war.
Er machte nämlich darauf aufmerksam, dass man einem Denkfehler unterliege, wenn man die Flugzeuge dort verstärkt, wo die meisten Einschusslöcher zu finden waren. Denn anscheinend konnte man mit diesen Einschusslöchern wieder zurückkehren. Wichtig seien doch die Einschusslöcher der Flugzeuge, die verloren gegangen sind, nur die hat man leider nicht.
Da die zurückgekommenen Flugzeuge nur wenige Einschusslöcher im Bereich der Motoren hatten, waren zwei Schlussfolgerungen möglich:
Wald ließ einige Experimente durchführen, um die Wahrscheinlichkeit abschätzen zu können, dass ein Flugzeug dort tatsächlich getroffen werden kann, und entwickelte daraufhin ein Verfahren, um die Überlebenswahrscheinlichkeit der Flugzeuge bei einem Treffer bei den Motoren abschätzen zu können.
Sie können sich das Ergebnis denken, natürlich waren dies genau die gefährdeten Stellen. Die US-Luftwaffe verstärkte daraufhin die Flugzeuge genau dort und der Rest ist Geschichte.
Seine Arbeiten veröffentlichte Abraham Wald übrigens erst in den 1980er-Jahren und seitdem spricht man bei diesem Denkfehler vom „survivorship bias“. Also der verzerrten Wahrnehmung der Überlebenschance, wenn man nur die Überlebenden betrachtet und auf die Verunglückten vergisst.
Diesem sind Sie übrigens wahrscheinlich auch schon unterlegen, und Ihre Kinder sind massiv gefährdet! Superhelden, Influencer, Rockstars, Fußballgötter, Self-made-Milliardäre, sie alle bekommen eine überdimensionale Aufmerksamkeit und viele eifern ihnen nach, aber all die gescheiterten Menschen, die es in ihren Bereichen nicht zum Top-Star gebracht haben, werden übersehen.
Sehen Sie sich oft Fondsrenditen an? Handeln Sie mit Indizes? Seien Sie vorsichtig. Wenn in den betrachteten Index- oder Renditewerten nur jene Titel enthalten sind, die bis dato überlebt haben, ausgefallene Titel aber aus den Indices herausgenommen werden, dann sind Sie genau ein Opfer des Survivorship bias. Sie sollten dann die Werte etwas nach unten korrigieren.
Wenn Sie Kunden- oder Mitarbeiterzufriedenheit abfragen, dann sollten Sie sicherstellen, dass die Unzufriedenen überhaupt bereit sind, bei der Befragung mitzumachen, denn sonst – ach, Sie wissen schon.
Bedenken Sie also immer, wie Sie in den Wald hineinrufen, so kommt es auch heraus.
Christoph Krischanitz
Der Autor ist Versicherungsmathematiker (profi-aktuar.at) und verfügt über langjährige Erfahrung in der aktuariellen Beratung. Krischanitz war von 2004 bis 2019 Vorsitzender des Mathematisch-Statistischen Komitees im Versicherungsverband (VVO), von 2008 bis 2014 Präsident der Aktuarvereinigung Österreichs (AVÖ). Derzeit ist er unter anderem Chairman der Arbeitsgruppe Non-Life Insurance in der Actuarial Association of Europe (AAE).
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