11.9.2025 – Der zunehmende KI-Einsatz nicht nur in den Unternehmen verunsichert viele Menschen. Und zahlreiche fragen sich insgeheim: Werde ich mittel- und langfristig überhaupt noch gebraucht – als Arbeitskraft und als Mensch?
„Macht die Künstliche Intelligenz (KI) die Menschen überflüssig?“ „Werden in zehn, zwanzig Jahren überhaupt noch Menschen benötigt, um die Jobs zu erledigen?“
Solche Fragen werden Beratern immer häufiger gestellt – sei in Gesprächsrunden zum Beispiel nach (Impuls-)Vorträgen oder in Seminaren und Coachings.
Oft ist dann bei den Fragestellern eine tiefe Verunsicherung zu spüren, denn die künstliche Intelligenz (KI) scheint heute schon häufig allgegenwärtig zu sein, und sie verändert viele Berufsbilder und Tätigkeitsfelder. Und: Sie wird gefühlt immer schneller und schlauer.
Wenn die KI jedoch immer mehr (Teil-)Aufgaben übernimmt, stellt sich logischerweise die Frage: Welche Funktion haben dann eigentlich – mittel- und langfristig – noch wir Menschen im menschlichen Zusammenleben, in der Arbeitswelt? Welche Aufgaben verbleiben dann noch für uns?
Meine Antwort auf diese Frage lautet stets: eine ganze Menge. Denn was uns als Menschen auszeichnet, lässt sich nicht einfach programmieren. Und dies bestimmt sich nicht nur darüber, was wir tun, sondern auch darüber, wie wir sind.
KI verarbeitet Information – sie sucht nicht nach Wahrheit. Menschen hingegen sind getrieben von Neugier sowie vom Wunsch, die Welt zu verstehen – und sich selbst.
Dieses Streben nach Erkenntnis geht über Daten hinaus: Wir Menschen wollen Sinn, Zusammenhang, Bedeutung erfassen. Nur wir stellen Fragen wie „Warum?“ und „Was bedeutet das für mich, für uns, für die Welt?“ KI liefert Antworten – nur der Mensch sucht jedoch nach Erkenntnis.
KI erkennt Emotionen – doch sie erlebt keine. Ein Mensch spürt, wenn etwas kippt: im Gespräch, im Raum, im Miteinander. Diese feinen Antennen, dieses Gespür für Zwischentöne und Atmosphären, das bleibt unverwechselbar menschlich. Wir sind Resonanzkörper – nicht nur Sensoren.
(Selbst-)Reflexion ist keine Rechenleistung. Nur wir Menschen können unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen bewusst beleuchten – und uns verändern. KI kann Reflexion nur simulieren. Der Mensch kann sich selbst, sein Denken und Tun hinterfragen und wächst daran.
KI kennt nur Daten. Wir Menschen hingegen erleben Bedeutung. In unserem Ich-Bewusstsein – also Wissen darüber, dass wir sind und wie wir sind – liegt der tiefste Unterschied. Bewusstsein ist kein Produkt von Trainingsdaten, sondern von Erfahrung und Existenz.
Menschen beherrschen nicht nur Copy & Paste, sie können auch echtes Neues kreieren: Menschen erschaffen Kunst, Ideen und Utopien. KI kann nur kombinieren, nachbauen und variieren. Der Mensch hingegen kann visionieren, träumen und radikal neu denken. Innovation entsteht aus Mut, Imagination und dem Sprung ins Unbekannte – nicht aus Rechenleistung.
Algorithmen folgen Logik. Und wir Menschen? Wir treffen manchmal Entscheidungen jenseits der Vernunft – zum Beispiel aus Überzeugung, aus Liebe oder aufgrund unserer Haltung. Unsere Willensfreiheit macht uns unberechenbar. Und genau darin liegt unser Potenzial.
KI kennt keine Ethik bzw. Werte. Sie kennt nur Regeln und Optimierungen. Menschen hingegen wägen ab, übernehmen Verantwortung, stehen für etwas ein, sagen Nein oder Ja – aus Gründen, die kein Algorithmus je erfassen kann. Wertebewusstsein ist nicht programmierbar.
Während KI schwarz oder weiß denkt, leben wir in Grauzonen. Wir ertragen Spannungen, Ambivalenzen, Unsicherheiten – und können anderen Menschen darin Orientierung und Halt geben. Ambiguitätstoleranz ist kein Fehler im System, sie ist eine unserer Stärken.
Bevor unser Verstand analysiert, weiß etwas in uns oft schon, was richtig ist. Diese tief in uns verwurzelte Intelligenz – gespeist aus Erfahrung, Körperwahrnehmung und Gefühl – bleibt für die KI ein Mysterium. Sie ist jedoch oft unser bester Kompass.
KI erkennt Muster. Der Mensch sucht nach Bedeutung. Wir fragen nach dem „Warum“ – nicht nur für Prozesse, sondern für das Leben selbst. Sinnstiftung, Orientierung, Existenzfragen – das ist zutiefst menschlich.
Kein KI-System der Welt kann ersetzen, was oft zwischen Menschen entsteht: Vertrauen, Nähe, ein Gefühl der Verbundenheit. Wir brauchen Resonanz, um zu wachsen, zu führen und zu leben. Beziehung ist keine Datenverbindung, sondern Begegnung.
Wir Menschen dürfen uns nicht – bewusst oder unbewusst – über die KI definieren; wir sollten uns vielmehr über uns selbst als Mensch bewusst werden.
Die Herausforderung, vor der wir stehen, lautet nicht, mit den Maschinen bzw. KI-Systemen Schritt zu halten, sondern das Menschliche mutig zu verkörpern … also dieses sicht- und erfahrbar zu machen. Zum Beispiel im alltäglichen Miteinander, bei der Zusammenarbeit, beim Führen.
Wir können die Technologie nur sinnvoll und angstfrei nutzen, wenn wir sie nicht als Konkurrenz, sondern als Werkzeug verstehen … das uns hilft, die Freiräume zu schaffen, die nötig sind, um stärker das zu sein, was uns als Menschen ausmacht – also von Maschinen, Algorithmen usw. unterscheidet.
Barbara Liebermeister
Die Autorin leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Wiesbaden.
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