3.10.2025 – Quoten alleine sagen wenig aus, sie eignen sich nicht als Steuerungsgrößen. Kennzahlen auf den Sockel zu heben, die keinem helfen, führt höchstens zu falschen Entscheidungen. Und zu Enttäuschungen über die Art und Weise, wie öffentliche Diskussionen verlaufen. – Von Versicherungsmathematiker Christoph Krischanitz.
2024 wurden in Österreich 31 Morde verübt. Davon waren 18 Frauen und 13 Männer betroffen. Eine Femizidquote von 58 Prozent also. Das ist schlimm.
Nehmen wir nun an, die Gesellschaft, die Politik, die Polizei – wer auch immer – schafft es, 8 Morde zu verhindern, 4 ermordete Frauen weniger und 4 ermordete Männer. Eine Reduktion der Mordrate also von 25,8 %. Das wäre doch ein Riesenerfolg. 23 Tote anstelle von 31. 8 Menschen mehr durften überleben.
Was ist aber im gleichen Moment passiert? Die Femizidquote ist von 58% auf 61% gestiegen. Ein Aufschrei! Die Medien entrüsten sich, Interessensvertreter schlagen Alarm, das ganze übliche Gezeter.
Weil auf eine Kennzahl geachtet wird, die denkbar ungeeignet ist um Entwicklungen zu beschreiben. Wollten wir die Femizidquote nicht verschlechtern, hätte man halt einfach einen Männermord mehr zulassen sollen. Die Mordrate wäre immer noch um 22,5 Prozent gefallen und die Femizidquote wäre in etwa gleichgeblieben. Je mehr Männer ermordet werden, desto besser die Femizidquote.
Bin ich ein Zyniker? Nein, ich bin Mathematiker! Und enttäuscht von der Art der öffentlichen Diskussion in Österreich.
Quoten alleine sind schlechte Ratgeber. Und sie sind keine Steuerungsgrößen.
Der Grund liegt auf der Hand. Quoten haben einen Zähler und einen Nenner. An beiden Enden kann ich die Quote verändern. Und wenn sich sowohl Zähler als auch Nenner verändern (zum Beispiel beide „verbessern“), kann trotzdem die Quote „schlechter“ werden. Das geht natürlich auch umgekehrt.
Die Quote sagt also wenig aus.
Wir sehen das auch in der Politik. Parteien bekommen höhere Stimmanteile, obwohl sie von weniger Menschen gewählt wurden. Weil die Anzahl der Wählenden insgesamt zurückgeht.
Die Frauenquote in Unternehmen verbessern? Nichts leichter als das, kündigen wir halt einfach ein paar Männer! Schwupps, Frauenquote verbessert, ohne eine zusätzliche Frau eingestellt zu haben. Ist das der Erfolg, den man sich wünscht?
Es ist schade, dass sich die politische und mediale Diskussion auf Kennzahlen stützt, die niemandem behilflich sind. Ist es Unwissenheit oder Unwillen, ich weiß es nicht. Ich fürchte beides.
Die schulautonome Flexibilisierung des Stundenplans haben gewissenhafte Journalisten gleich zum Anlass genommen, sich auf eine Reduktion des Mathematikunterrichts zu freuen. Na, hurra – genau das Gegenteil wäre nötig.
Das Gesetz von Goodhart (Charles Goodhart, Professor der London School of Economics and Political Science) lautet – ich zitiere Wikipedia –, dass eine Kennzahl ihren Nutzen verliert, sobald sie als Ziel verwendet wird: „When a measure becomes a target, it ceases to be a good measure.“
Ich wiederhole: eine Kennzahl verliert ihren Nutzen, wenn sie als Ziel verwendet wird!
Das ist leicht einsehbar. Wenn Sie mich nach Beratungsstunden bezahlen, wird die Anzahl der Stunden, die ich für ein Projekt brauche, ein schlechter Indikator für die Qualität des Projekts sein.
Es ist leider in unseren Breiten üblich geworden, Bilanzkennzahlen als Steuerungsgrößen zu verwenden. Das läuft der eigentlichen Idee einer Bilanz zuwider. Denn die Bilanz soll ja im Nachhinein Rechenschaft darüber liefern, wie erfolgreich meine wirtschaftliche Aktivität war und wie sich meine Vermögenssituation geändert hat.
Wenn ich aber meine wirtschaftliche Aktivität so ausrichte, dass ich ein vorgegebenes Vermögensprofil laut Bilanzregelwerk erreiche, arbeite ich mit großer Wahrscheinlichkeit am Markt vorbei und muss mir den Erfolg in irgendeiner Form ertricksen. Dabei geht viel ökonomische Kapazität verloren.
Und wenn ich eine Quote erreichen will, werde ich die damit vermeintlich verbesserte Qualitätsentwicklung nicht erreichen, sondern schlicht die Quote. Die Subjekte der Quote haben selten etwas davon.
Wenn man aus gerechtfertigten oder politischen Gründen eine Bevölkerungsgruppe XYZ verstärkt in einen gesellschaftlichen Bereich ABC bringen möchte, dann sollte man das offen beziffern und nicht über verwaschene Quotenregelungen dem Missbrauch Tür und Tor öffnen.
Aber wo wäre dann die ganze Emotionalität in unserer objektiven Berichterstattung …
Christoph Krischanitz
Der Autor ist Versicherungsmathematiker (profi-aktuar.at) und verfügt über langjährige Erfahrung in der aktuariellen Beratung. Krischanitz war von 2004 bis 2019 Vorsitzender des Mathematisch-Statistischen Komitees im Versicherungsverband (VVO), von 2008 bis 2014 Präsident der Aktuarvereinigung Österreichs (AVÖ). Derzeit ist er unter anderem Chairman der Arbeitsgruppe Non-Life Insurance in der Actuarial Association of Europe (AAE).
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