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Natkat-Versicherung: „Erster Schritt wäre radikales Umdenken“

31.10.2024 – Das bestehende System der finanziellen Reaktion auf Naturkatastrophen ist unzureichend, es weist diverse Fehler auf, so der Tenor einer Podiumsdiskussion an der Wirtschaftsuniversität Wien. Lösungsansätze gebe es aber, sowohl im Ausland als auch im Inland. Angeführt wurden etwa gesetzliche Änderungen sowie risikozonenabhängige Prämien und Selbstbehalte.

Hochwasser, Symbolbild (Bild: Kladu/Pixelio.de)
Symbolbild (Quelle: Kladu/Pixelio.de)

Das Rekord-Hochwasser, das Mitte September Niederösterreich, Wien und auch andere Länder heimgesucht hat, wird nicht die letzte Katastrophe dieser Art bleiben.

Wer kann bzw. soll für die Schäden aufkommen, die Privatpersonen, Unternehmen und die öffentliche Hand erleiden (werden)? Welches Risiko trägt der Einzelne bzw. sollte oder müsste individuell getragen werden? Welche Maßnahmen sind zur Prävention bzw. Schadenskompensation geboten? Und: Wer soll die bezahlen?

Diese Fragen diskutierte eine Podiumsrunde an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) beim von dieser und der „Presse“ veranstalteten „Rechtspanorama an der WU“.

Jahrhundertereignisse, die viel häufiger auftreten

Denn die Frage stellt sich nicht erst seit September 2024, sondern ist seit den Hochwässern im August 2002 und Juni 2013 auf dem Tapet, da sich die „Jahrhundertereignisse“ nicht (mehr) an diese Zeitvorgabe halten und sich beschleunigen.

Und das geht ins Geld. Allein aus dem Hochwasser im diesjährigen September wird mit einer Schadenssumme von 1,3 Milliarden Euro für heimische Haushalte und Unternehmen gerechnet. Dazu kommt noch rund eine halbe Milliarde Euro aus Schäden an der Infrastruktur, Stichwort Bahn.

Schon in den vergangenen Jahren kalkulierte die heimische Versicherungswirtschaft aus dem Titel Naturereignisse mit Schadenssummen um eine Milliarde Euro jährlich.

Die Podiumsdiskutanten des „Rechtspanoramas“ waren dementsprechend deutlich in ihrer Kritik, lieferten aber auch Verbesserungsvorschläge.

Deckungslücken

Thomas Hlatky, Leiter Rückversicherung der Grazer Wechselseitigen Versicherung AG, ist zugleich auch Projektverantwortlicher für die Online-Plattform für Naturgefahrerkennung Hora.

Er wies darauf hin, dass die Bilanzen der heimischen Versicherungsunternehmen nicht nur von den heimischen Schäden betroffen seien, sondern es ja auch in Tschechien und Polen massive Überschwemmungen, Hochwässer und Zerstörungen gab.

Auf Opferseite schmerzhaft sei, dass Hochwasserereignisse nicht voll abgedeckt seien, sondern in der Regel nur kumuliert maximal bis zu 20.000 Euro aus Haushalts- und Eigenheimversicherung. Eine „Vollversicherung“ werde nicht angeboten – obwohl die Hälfte der Schäden bereits aus der Ursache „Starkregen“ resultiere.

„Damit gewinnt man keine Wahl“

Aktuell könnten aber Makler ihren Kunden keine „Versicherungslösung für das elementare menschliche Bedürfnis nach Wohnsicherheit“ anbieten. Dazu komme die politische Seite des Themas Katastrophenversicherung: „Damit gewinnt man keine Wahl.“

Und so geht Hlatky auch mit dem staatlichen Naturkatastrophenfonds ins Gericht und kritisiert, dass man lieber nach dem Desaster Geld verteile, als den Menschen vorher – wenig – Geld für eine Pflichtversicherung abzunehmen. In Deutschland gebe es schon einen Namen für das „Post-Desaster Geldverteilen“ von in Gummistiefeln auftretenden Politikern: „Stiefelkönige“, erzählt Hlatky.

„Es gibt Lösungen“

Er verweist auf ausländische Versicherungsbeispiele: In Belgien gebe es zur freiwilligen Feuerversicherung einen „Baustein Naturkatastrophen“. Und in Schweden gebe es eine funktionierende Vollversicherung gegen Naturgefahren.

„Es gibt Lösungen“, ist Hlatkys Botschaft; man habe dem Finanzministerium ein Modell für eine Naturkatastrophenversicherung vorgeschlagen, inklusive „Social Spread“, der in die Spreizung nach dem technischen Risiko eingebaut sei. Bundesweit ausgerollt würde das Modell nur rund 20 Euro Jahresprämie ausmachen.

Denn „versichern kann man alles“. Zu „risikozonenabhängigen“ Prämien könne es auch risikozonenabhängige Selbstbehalte geben. Aber jeder müsse sich bewusst sein: „Risiko kostet.“

Ein „dysfunktionales System“

Der Klima- und Umweltökonom des Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), Franz Sinabell, bezeichnet unseren jetzigen finanziellen Umgang mit Naturkatastrophen als „dysfunktionales System“.

Versicherungen decken Summen ab, die die betreffenden Haus- und Grundbesitzer selber stemmen können sollten. Dafür gibt es Nichtdeckung des volkswirtschaftlichen Schadensrisikos, weil es zu wenig Nachfrage, also Versicherungszahler, gibt. Es bestehe also ein „Marktversagen“.

Abgesehen davon können Makler, die nahe an ihren Kunden sind, „Häuser anschauen“, denn schon mit wenigen Maßnahmen seien Risiken senkbar.

Klassischer Fehlanreiz – wer sich versichert, ist „der Blöde“

Als „klassischen Fehlanreiz“ kritisiert Christian Prantner, Teamleiter Finanzdienstleitungen in der Arbeiterkammer Wien, das jetzige System, dass auf Zahlungen des Katastrophenfonds Auszahlungen aus privaten Versicherungen angerechnet werden: Wer eine Versicherung abschließt, ist also „der Blöde“.

In der Beratungspraxis der Arbeiterkammer, auch in den Bundesländern, sehe man viele Unsicherheiten, was Ausschlusskriterien, Deckungslücken, Versicherungsablehnungen und Versicherungskündigungen betrifft. Daher sei auch die Nachfrage gering.

Es bräuchte „vollen Katastrophenschutz“ im Versicherungsvertragsgesetz für alle Sparten determiniert, wo Versicherungsgründe und Deckungen festgelegt werden. Das Definieren der Deckungsgrundlagen, Ablehnungs- und Kündigungsgründe gehöre „in ein Paket gegossen“.

Die jetzigen Fehlanreize beim Katastrophenfonds und seine bundesländerweise unterschiedliche Handhabung seien „Unsinn“.

Der Mieter im 13. Stock

Aber wie kann man Versicherungssolidargemeinschaft von „Mietern im 13. Stock“ verlangen, sodass sie für Hausbesitzer in Risikolagen mit zahlen?

Prof. Stefan Perner, vom Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht an der WU, entgegnet, dass der jetzige Naturkatastrophenfonds aus der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer dotiert wird; da zahlen also auch viele „Nichtbetroffene“ sozusagen solidarisch mit.

Noch dazu entscheide – das heißt: zahlt – der Katastrophenfonds bundesländerweise unterschiedlich und man habe kein Anrecht auf eine Zahlung.

Das angesprochene Marktversagen unterstreicht Perner: Solange nur jene in eine Versicherung einzahlen, deren Schadenseintrittsrisiko (und dann die Schadenshöhe) absehbar hoch ist, könne das Versicherungsprinzip – viele Einzahler und relativ wenige Empfänger – nicht funktionieren.

Kann „als Versicherungsprodukt nur besser werden“

Der Katastrophenfonds könnte „als Versicherungsprodukt nur besser werden“.

Wenn man „mehrere Naturgefahren bündelt und als Paket nimmt, führt das zur nötigen Streuung, die es zu einem Versicherungsprodukt macht“. So ein breites Versicherungsmodell brauche auch „konsumentenschutzrechtlich flankierende Regelungen“.

Es hätte den Vorteil, dass es „Risikoaversität“ in der Bevölkerung fördern würde, statt auf den Katastrophenfonds zu hoffen. Wenn jemand trotzdem weiterhin in der „roten Zone“ bauen will und bereit ist, eine deutlich hohe Versicherungsprämie zu zahlen – „dann ok“.

Perners Fazit: „Im ersten Schritt muss es aber zu einem radikalen Umdenken kommen!“ Wobei: „Dass schon der Autobahn-Hunderter nicht geht“, dämpfe die Zuversicht.

 
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