21.5.2025 – In einer EY-Umfrage hatten vier Fünftel angegeben, auf die eine oder andere Art Vorbereitungen für einen Blackout getroffen zu haben (VersicherungsJournal 24.2.2025). Krisenvorsorge-Experte Herbert Saurugg warnt im folgenden Kommentar jedoch davor, daraus falsche Schlüsse zu ziehen und sich einem trügerischen Sicherheitsgefühl hinzugeben, das systemische Risiken und tatsächliche Defizite in der Krisenvorsorge verdeckt. Denn die Praxis offenbare gravierende Lücken, sowohl auf individueller als auch auf staatlicher Ebene.
In der öffentlichen Diskussion wird ein möglicher überregionaler Strom-, Infrastruktur- und Versorgungsausfall („Blackout“) oft auf einen bloßen Stromausfall reduziert.
Was jedoch tatsächlich auf dem Spiel steht, bleibt weitgehend unerklärt: Ein überregionaler Ausfall von Strom, Infrastruktur und Versorgung würde unsere moderne Gesellschaft binnen Minuten ins Chaos stürzen.
Telekommunikation, Logistik, Trinkwasserversorgung – alles fällt aus und der Wiederanlauf ist langwierig und voller Hindernisse, wie jüngst der Stromausfall am fünftgrößten Flughafen der Welt in Heathrow gezeigt hat. Die ungewöhnlich lange Ausfallzeit war vor allem auf die zu erwartenden Verzögerungen beim Neustart der IT- und Sicherheitssysteme zurückzuführen.
Statt einer klaren Kommunikation dieser Realitäten ist jedoch ein Schweigen oder Schönfärberei an der Tagesordnung.
Die Menschen sind grundsätzlich schlecht darin, seltene, aber katastrophale Risiken realistisch einzuschätzen. Umso fataler ist es, wenn ohne klaren Kontext Umfragen durchgeführt und Ergebnisse dargestellt werden, die den Eindruck vermitteln, die Mehrheit wäre auf einen Blackout vorbereitet. Doch das hat mit der Realität wenig zu tun.
Der Rechnungshof kritisiert zu Recht („Vorbereitung auf den Blackout-Fall“; PDF): Es fehlt in Österreich an einer gesamtstaatlichen Strategie zur Vorbereitung und Bewältigung eines Blackouts. Ohne gemeinsames Lageverständnis bleibt jede Vorsorge Stückwerk – und die Bevölkerung im Unklaren über das tatsächliche Ausmaß der Bedrohung.
Unsere technologische Abhängigkeit und die zunehmende Komplexität der Infrastrukturen machen uns anfällig wie nie zuvor. Hinzu kommen die Zunahme extremer Wetterereignisse, die Gefahr von Sabotageakten oder Cyberangriffen.
Während über die Notwendigkeit einer militärischen Aufrüstung ein durchaus breiter politischer Konsens besteht, ist vielen Verantwortungsträgern offensichtlich nicht so bewusst, dass eine militärische und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit nur dann erreicht werden kann, wenn auch eine entsprechende Basis vorhanden ist: robuste Versorgungsstrukturen und eine resiliente, also selbstwirksame Bevölkerung, die auch mit Überraschungen und größeren Störungen in der Versorgung umgehen kann.
Diese Basis ist derzeit nicht ausreichend gegeben.
Die jüngsten Störungen in Lieferketten hätten eine Warnung sein müssen, doch die Lehren wurden nicht gezogen. Ein großflächiger Stromausfall würde binnen Stunden zu einem Lieferkettenkollaps führen – und das System funktioniert nicht einfach wieder, sobald der Strom zurückkehrt. Im Gegenteil: Die eigentliche Krise beginnt erst, wenn das Licht wieder angeht, denn dann müssen Versorgung, Produktion und Logistik erst mühsam synchronisiert und wiederhergestellt werden.
Viele Menschen haben laut der EY-Befragung Kerzen und ein paar Vorräte zu Hause. Doch zu meinen, damit hätte man bereits vorgesorgt, wäre ein Trugschluss. Kerzen erhöhen im Blackout-Fall sogar die Brandgefahr – und wenn Notruf und Wasserversorgung ausfallen, wird daraus ein lebensbedrohliches Risiko.
Die vermeintliche „Vorsorgebereitschaft“ basiert auf einem falschen Sicherheitsgefühl. Entscheidend ist, ob genügend Menschen sich mindestens 14 Tage selbst versorgen können, um nach dem Stromausfall wieder zur Arbeit zu kommen und die Grundversorgung möglichst rasch wieder in Gang zu bringen.
Studien zeigen: Nur ein Bruchteil der Haushalte wäre dazu heute in der Lage. Aber wenn die Menschen zu Hause ein Problem haben, kommen sie dann überhaupt zur Arbeit? Das kann schnell zu einem Teufelskreis mit schwerwiegenden Folgen führen. Den wenigsten von uns ist wohl wirklich bewusst, wie dünn die Decke ist, wenn die Versorgung nicht funktioniert und welche Schäden hier drohen.
Ein oberflächlicher Umgang mit dem Thema Vorsorge in Zeiten zunehmender Krisen hilft niemandem.
Herbert Saurugg
Erfahrungen aus Krisenprojekten belegen: Es kann bis zu zwei Wochen dauern, bis Produktion, Logistik und Handel nach einem großflächigen und länger andauernden Stromausfall wieder so weit laufen, dass eine Notversorgung möglich ist. Und das auch nur, wenn vorher abgestimmt und vorgesorgt wurde.
Doch genau das wird in vielen Umfragen nicht abgefragt – und in der Praxis unzureichend umgesetzt.
Immerhin: 2024 haben die österreichischen Sozialpartner gemeinsam mit der Gesellschaft für Krisenvorsorge einen Leitfaden für Unternehmen und Beschäftigte (PDF) herausgegeben, um Vorsorgemaßnahmen besser zu transportieren.
Doch auch hier bleibt die Umsetzung hinter den Möglichkeiten zurück. Wie so oft wird erst gehandelt, wenn es zu spät ist und das böse Erwachen folgt. Die Versicherungswirtschaft kennt dieses Muster nur zu gut.
Wir dürfen uns die Realität nicht länger schönreden und Symbolmaßnahmen als ausreichend verkaufen.
Niemand kann ausschließen, dass ein Blackout eintritt – und die Risiken nehmen durch die aktuelle europäische Energiepolitik, die wachsende Komplexität oder die sicherheitspolitischen Spannungen weiter zu.
Allein der nicht systemische Umbau der Energieversorgung birgt genügend Risiken, die selten als solche wahrgenommen werden. Die Vergangenheit zeigt jedoch: Wer die Realität ignoriert, wird von den Folgen eingeholt.
Es ist Zeit, mit 20 Prozent Aufwand 80 Prozent des Erfolges in der Vorsorge zu erreichen. Der Leitfaden der Sozialpartner bietet dafür einfache und rasch umsetzbare Hilfestellungen.
Beginnen wir jetzt – bevor uns die Realität erneut einholt!
Der Autor ist Blackout- und Krisenvorsorgeexperte und Präsident der Gesellschaft für Krisenvorsorge. Er betreibt einen Fachblog, ist Vortragender, Fachautor und unterstützt Institutionen, Organisationen und Unternehmen in Sicherheitsfragen.
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