Schokolade und andere (statistische) Abhängigkeiten

24.1.2025 – Mehr Schokolade – mehr Nobelpreisträger? Mehr Störche – mehr Geburten? Ist es aus statistischer Sicht argumentierbar, die Körperhygiene schleifen zu lassen, nachdem man beim Dating laufend abblitzt? Versicherungsmathematiker Christoph Krischanitz setzt sich in Teil 8 der Serie „Statistik verstehen“ mit Zusammenhängen und Abhängigkeiten auseinander.

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Naschen Sie gerne? Ich bitte Sie, essen Sie mehr Schokolade!

Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2012 hat nämlich gezeigt, dass es einen direkten Zusammenhang des jährlichen Schokoladekonsums pro 10 Millionen Einwohner eines Landes mit der Anzahl der hervorgebrachten Nobelpreisträger pro 10 Millionen Einwohner dieses Landes gibt!

Dabei wurden alle Nobelpreise, die bis zum 10. Oktober 2011 verliehen worden sind, berücksichtigt.

Zusammenhänge

Abgesehen davon, dass es wahrscheinlich keine gute Strategie ist, für eine zusätzliche Nobelpreisträgerin hunderttausende Zuckerkranke in Kauf zu nehmen, enthält meine obere Aussage einen Fehler.

Haben Sie ihn erkannt? Ich sagte, „es gibt einen direkten Zusammenhang“, und gemeint war: Es gibt einen „statistischen“ Zusammenhang, also eine Korrelation.

Statistische Abhängigkeiten zweier Variablen (so spricht der Mathematiker) müssen nicht zwangsläufig einen kausalen Hintergrund haben. Oder haben ihn eigentlich selten. Sehr oft ist es reiner Zufall, oder es steckt etwas Drittes dahinter, das beide Variablen beeinflusst.

Geburtstage und Störche

Christoph Krischanitz (Bild: Krischanitz)
Der Autor: Versicherungsmathematiker
Christoph Krischanitz (Bild: Krischanitz)

Sie kennen vielleicht Statistiken, die besagen, dass erfolgreiche Fußballer überwiegend im zweiten Halbjahr Geburtstag haben. Ist das Zufall?

Sie kennen vielleicht auch Statistiken, die zeigen, dass in Gebieten, wo mehr Störche beheimatet sind, auch höhere Geburtenraten herrschen. Kann das Zufall sein?

Im ersten Fall ist es tatsächlich eine Kausalität, die dazu führt, dass Kinder aus den späteren Geburtsmonaten häufiger ihre Karriere im Spitzenfußball suchen.

Die Begründung ist recht einfach. Da Kinder aus den späten Monaten in den Schulklassen die Älteren sind und daher auch die körperlich Überlegenen, setzen sich diese Kinder häufiger im Fußball durch, haben häufiger Erfolgsmomente und letztendlich viel mehr Spaß am Fußball als die Klassennachzügler, die im Mai oder Juni geboren sind.

Im Falle der Störche gibt es tatsächlich ebenfalls eine Kausalität, allerdings keine direkte, sondern eine schlichte Gemeinsamkeit. Die Geburtenraten sind in ländlichen Gebieten traditionell höher als in Großstädten und auf dem Lande fühlen sich auch die Störche wohler. Störche und Geburten sind dadurch „kofundiert“, wie der Statistiker sagt.

A führt zu B führt zu A führt zu …

Es gibt auch spannende Kausalitäten, wo aus A ein B folgt, das aber wiederum Einfluss auf A nimmt.

Angenommen, Sie als Mann kommen bei den Damen nicht gut an und ihre Erfolgsaussichten für ein Date sind gering. Daraufhin entscheiden Sie „es ist eh schon wurscht“ und duschen und rasieren sich nicht mehr, woraufhin Ihre Erfolgsaussichten noch schlechter werden.

Aus der Biomathematik kennt man die Räuber-Beute-Gleichungen, die besagen, wenn die Anzahl der Beutetiere steigt, dann steigt auch die Anzahl der Raubtiere. Eine positive Korrelation also.

Wenn aber die Anzahl der Raubtiere steigt, dann sinkt irgendwann die Anzahl der Beutetiere wieder, weil sie gefressen werden. Es entsteht plötzlich eine negative Korrelation, die aber dann wieder dazu führt, dass bei sinkenden Beutetieren auch die Raubtierbevölkerung wieder schrumpfen muss.

Eine Frage der Phase

In einer längeren Historie wechseln also Phasen mit statistisch positiver Korrelation ab mit Phasen, in denen die Korrelation negativ ist.

Wer Korrelationen misst, muss sich also im Klaren sein, in welcher Phase man sich gerade befindet! Das gilt übrigens auch auf den Finanzmärkten, wo sich Phasen positiver Korrelation zwischen Aktien- und Anleihekursen mit Phasen negativer Korrelation abwechseln.

Das lässt uns sehr an der Aussagekraft von Korrelationen zweifeln!

Trotzdem sind Korrelationen überall in Verwendung, die neben den grundsätzlichen Kausalitätsproblemen auch noch Probleme haben, nichtlineare Abhängigkeiten zu erkennen und vieles andere auch. Ökonomische Studien, pharmazeutische Studien, medizinische Studien bauen alle auf diesem schwachen Konstrukt auf, was uns schon nachdenklich machen sollte.

Alternativen

Gibt es Alternativen? Es gibt tatsächlich ein noch recht junges mathematisch-statistisches Forschungsgebiet aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, das sich schlicht Kausalität nennt und auf den Ideen von Thomas Bayes, einem britischen Mathematiker aus dem 18. Jahrhundert, aufsetzt und diese mit der Netzwerktheorie verbindet (Bayes’sche Netze).

Dies wird an vielen Stellen in der Softwareentwicklung, in der Beschreibung von Pandemien und anderen komplexen Vorgängen (Komplexitätstheorie) eingesetzt und bildet auch eine theoretische Grundlage für die künstliche Intelligenz.

Falls Sie also über einen Artikel stolpern, der besagt, dass Sie sich von Pools fernhalten sollen, wenn ein Film mit Nicolas Cage im Kino läuft, dann denken Sie daran, nicht alles was real ist, ist auch kausal.

Tatsächlich gibt es eine Statistik, die eine auffällige Ähnlichkeit der zeitlichen Muster zwischen der Häufigkeit von im Pool ertrunkenen Menschen und der Häufigkeit von Filmen, in denen Nicolas Cage mitspielt, aufzeigt. Aber ähnliche Muster findet man immer, man muss nur lange genug suchen.

Trauen Sie also keiner Statistik – aber das hatten wir schon …

Christoph Krischanitz

Der Autor ist Versicherungsmathematiker (profi-aktuar.at) und verfügt über langjährige Erfahrung in der aktuariellen Beratung. Krischanitz war von 2004 bis 2019 Vorsitzender des Mathematisch-Statistischen Komitees im Versicherungsverband (VVO), von 2008 bis 2014 Präsident der Aktuarvereinigung Österreichs (AVÖ). Derzeit ist er unter anderem Chairman der Arbeitsgruppe Non-Life Insurance in der Actuarial Association of Europe (AAE).

Serie „Statistik verstehen“ – bisher erschienen
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