15.9.2025 – Zur EU-Kleinanlegerstrategie könnte im vierten Quartal eine finale politische Einigung vorliegen. In einer Podiumsrunde von Vertretern der Branche, der Aufsicht und der Wissenschaft ging es beim Makler-Treffen in Rust um die Motive für ein (partielles) Provisionsverbot und neue Referenzwerte für Produktkosten. Auch am Regulierungsprozess als solchem wurde Kritik laut. So wurden etwa Zweifel angemeldet, wie viel die angekündigte regulatorische Vereinfachung tatsächlich an Vereinfachung bringen wird.
Die (Versicherungs-)Welt ordnet sich neu – unter dieses Motto hat der Fachverband der Versicherungsmakler und Berater in Versicherungsangelegenheiten sein diesjähriges „Expert:innentreffen“ im burgenländische Rust am See gestellt.
Der erste Teil der Veranstaltung drehte sich vergangenen Donnerstag denn auch um ein regulatorisches Thema, das die Versicherungswelt seit geraumer Zeit beschäftigt: die EU-Kleinanlegerstrategie.
Der im Mai 2023 vorgelegte Entwurf (VersicherungsJournal 25.5.2023) sieht ja bekanntlich eine Reihe von Änderungen an der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) vor.
Dazu gehören insbesondere ein Provisionsverbot für unabhängige Beratung zu Versicherungsanlageprodukten und Regelungen im Hinblick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Produkte – Stichworte sind hier „Value for Money“ und „Benchmarks“.
Armin Kammel, Professor für Bankrecht und Finanzmarktregulierung, fasste in einem kurzen Vortrag wesentliche Punkte aus einer Analyse zusammen, die er für den Fachverband angestellt hat.
Sie befasst sich mit den möglichen Auswirkungen eines Provisionsverbots für Versicherungsmakler. Die Ergebnisse waren bereits im Februar präsentiert worden (VersicherungsJournal 25.2.2025). Unter anderem ist von einer erheblichen Reduktion der Anzahl der Makler die Rede.
Die meisten nationalen Umsetzungen von Provisionsverboten seien „Betriebsunfälle“ gewesen, meinte Kammel in Rust. Die „Musterschüler“ seien nicht in der Lage, für die Notwendigkeit eines Provisionsverbots Evidenz zu liefern.
Die in den vergangenen zwei Jahrzehnten verfolgte Argumentationslinie für ein Provisionsverbot betrachtet Kammel als eine ideologisch motivierte „politische Positionierung ohne Evidenz“.
Fachverbandsobmann Christoph Berghammer betonte, von österreichischer Seite seien drei Bundesministerien – Finanz, Wirtschaft und Soziales – bereits gegen ein Provisionsverbot aufgetreten.
Mit der nun voraussichtlich kommenden Lösung (lesen Sie dazu den heutigen Beitrag „Die Provision und das ‚Vermittlerbild der Zukunft‘“), meint Berghammer, werde die österreichische Maklerschaft leben können, weil der „ungebundener Makler“ nicht unter das Provisionsverbot falle.
Dies, bekräftigte er neuerlich, solle in Österreich aber auch gesetzlich abgesichert werden, denn die Diskussion um ein Provisionsverbot werde weitergehen. Von Sozialdemokraten und Grünen im Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments seien bereits entsprechende Rufe zu hören gewesen.
Ludwig Pfleger, stellvertretender Abteilungsleiter der behördlichen Aufsicht über Versicherungsunternehmen und Leiter des Teams Business Conduct in der Finanzmarktaufsicht (FMA), nannte die Position der Eiopa zum Provisionsverbot „relativ ausbalanciert“.
Die europäische Versicherungsaufsicht hatte bereits 2022 ein Papier zum Umgang mit Anreizen („Inducements“), zu denen auch Provisionen zählen, veröffentlicht. Sie listet darin sechs Optionen auf – von einem völligen Verbot bis zu einer Beibehaltung der derzeitigen Rechtslage – und beleuchtet deren Pros und Contras (VersicherungsJournal 3.5.2022).
Maria Althuber-Griesmayr, Leitung des Bereichs Recht und Internationales im Versicherungsverband (VVO), bekräftigte das Plädoyer der Versicherungswirtschaft für das Bestehen verschiedener Vertriebskanäle.
Das österreichische System solle beibehalten werden, sodass weiterhin ein „niederschwelliger Zugang“ zu Versicherungsschutz gewährleistet bleibe. Ein Provisionsverbot trüge auch nichts zu den Zielen der Kleinanlegerstrategie bei, so Althuber-Griesmayr.
Was das Themenfeld „Kosten-Nutzen-Verhältnis“ angeht, bezeichnete es Stefan Trojer, Legist im Wirtschaftsministerium, als „bemerkenswerten Ansatz“, Benchmarks für die Produkte im europäischen Versicherungsmarkt bilden zu wollen.
Diese „Benchmarks“ sollen, so die Idee hinter dem Konzept, einen Anhaltspunkt dafür geben, ob sich die Kosten sozusagen innerhalb einer gewissen Bandbreite bewegen oder „ausufern“ (VersicherungsJournal 11.9.2023, 11.9.2023). Trojer meinte, der europäische Gesetzgeber sei „beachtlich unterwegs“, sich ein solches Unterfangen überhaupt zuzutrauen.
Pfleger hielt fest, „Value for Money“ sei für Versicherer im Rahmen des Produktentwicklungsprozesses auch jetzt schon ein regulatorisches Thema. Vieles hänge freilich vom Marktumfeld ab, wodurch sich im Lauf der Zeit auch ein gewisser „Mismatch“ ergeben könne.
Auch Berghammer wies darauf hin, dass „Value for Money“ ohnehin schon jetzt in der Produktgestaltung berücksichtigt werde.
Zugleich warnte er vor einer Problematik von Benchmarks im Non-Life-Bereich: Die Prämien senken müssen, wenn das Produkt „gut läuft?“ fragte Berghammer. Wenn das in der Non-Life-Versicherung zur Anwendung käme, „ist das Produkt tot“.
Vielmehr müsse auch Querfinanzierung möglich sein, gerade etwa auch im Zusammenhang mit Versicherungsschutz gegen Naturkatastrophen.
Pfleger berichtete, die Eiopa führe „im Hintergrund“ Übungen zu Value for Money durch. Aktuell sehe man sich dabei Schadenquoten, Ablehnungen und Abschlusskosten an und versuche ein Benchmarking.
Wie hoch die Schadenquote ist und warum es zu Ablehnungen kommt, hänge von verschiedenen Faktoren ab, ergänzte Pfleger. Wenn es hier zu Abweichungen von üblichen Werten komme, dann sage das allein noch nichts darüber aus, ob ein Produkt „fair“ ist.
Althuber-Griesmayr betonte, Europa habe sich bewusst gegen eine Preiskontrolle entschieden. Auf diesem Prinzip basiere auch das Eigenmittel- und Aufsichtsregelwerk Solvency II. Das angedachte Konzept mit Value-for-Money-Benchmarks aber „würde uns zur Preiskontrolle führen“ – und das sei definitiv abzulehnen.
Martin Ramharter vom Finanzministerium führte zum Thema Value for Money in der Nichtlebensversicherung aus, dass in Österreich die AGB-Kontrolle den Ansatzpunkt bilde: Geprüft würden berechtigte Deckungserwartungen, und für diese dürfe dann eben auch ein Preis verlangt werden.
Es sei problematisch, dass auf europäischer Ebene hingegen ein „quantitativer“ Ansatz herrsche, Produkte mit KPIs („Key Performance Indicator“, Leistungskennzahl) „über einen Kamm zu scheren“. Versicherung sei ein Rechtsprodukt, das der Analyse bedarf.
Wo es „Ausreißer“ und Probleme mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis gibt, solle man sich dem stellen. Oft würden solche Probleme aber verallgemeinert, bemängelte Ramharter.
Mit Blick auf den Gesetzgebungsprozess im Allgemeinen kritisierte er eine „Tendenz, dass Regulierung von der Politik aus der Hand gegeben wird“, indem Rechtsvorschriften von nachgelagerten Agenturen erarbeitet werden.
Deren Aufgabe sei es, entsprechende Informationsarbeit zu leisten. Der Benchmark-Ansatz beispielsweise sei für Personen, die an der Ausarbeitung nicht beteiligt waren, nicht nachzuvollziehen. Dies mache es letztlich auch schwerer, zu Kompromissen zu gelangen.
Seit Beginn der neuen EU-Gesetzgebungsperiode und Antritt der neuen EU-Kommission 2024 gilt auf EU-Ebene das Schlagwort von der Entbürokratisierung und Vereinfachung. Die Kommission hatte im Jänner ein Programm dazu vorgestellt (VersicherungsJournal 30.1.2025).
Ramharter stellte dementsprechend fest, dass „Simplification“ ganz oben auf der politischen Agenda angekommen sei und die nächsten Jahre quer über alle Rechtsakte präsent sein werde.
Ein Problem ortet er dennoch, nämlich, dass aus der „Simplification“ selbst ein „regulatorisches Hochamt“ gemacht werde. Er hegt deshalb auch Zweifel, ob bei den avisierten Vereinfachungen tatsächlich „immer etwas Einfacheres herauskommt“.
Einen anderen Stolperstein sieht er im „Lamfalussy-Verfahren“, das im Finanzsektor ein mehrstufiges Verfahren der Regulierung von der Richtlinie bis „hinunter“ zu Durchführungsmaßnahmen vorsieht. Dieses System habe zu Ergebnissen geführt, „die für die Zukunft nicht tragbar sind“.
Kammel meinte, er habe schon öfters „Slogans“ gehört, die eine bessere Form der Gesetzgebung in Aussicht stellten, „smart regulation“ etwa. „Angekommen“ sei eine solche aber bisher noch nicht. Und jetzt sei eben „simplified regulation“ ein neuer Slogan.
Schon „konzeptuell“ könne es zu keiner Vereinfachung der Regulierung kommen, „indem ich noch ein paar hundert Seiten drauflege“. Weniger Regulierung müsse nicht bedeuten, dass „nicht mehr reguliert“ wird, sondern, dass deren Komplexität reduziert wird.
Althuber-Griesmayr merkte an, die Versicherungswirtschaft bringe Fachwissen in den Regulierungsprozess ein; Vertreter der Branche seien regelmäßig darum bemüht zu erläutern, wie Tarife versicherungsmathematisch zu kalkulieren sind.
Dies solle dazu beitragen, „überbordende“ Vorgaben von vornherein zu vermeiden. Bei manchen Punkten wiederum wie etwa dem Benchmark-Ansatz, müsse man von vornherein ein klares Nein aussprechen.
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