22.8.2025 – Die politische Polarisierung hat seit 2000 stark zugenommen und nun einen historischen Höchststand erreicht. Zu diesem Befund gelangt WTW in einer neuen Analyse. Auch etablierte Demokratien blieben davon nicht verschont. Für Unternehmen bedeute dies, dass Risikoanalyse immer wichtiger wird. Risikoangemessene Prämien seien dank verfügbarer Kapazitäten und neuer Anbieter möglich.
Die politische Polarisierung hat im weltweiten Durchschnitt einen historischen Höchststand erreicht – das jedenfalls besagt die neue Ausgabe des halbjährlich erscheinenden „Political Risk Index“ des global tätigen Risikoberatungs- und Maklerunternehmens WTW.
Dies gehe mit verstärkter politischer Gewalt und unvorhersehbaren Schwankungen in der Regierungspolitik vieler Länder einher. Für den Bericht haben Risikoexperten die Daten von mehr als 200 Ländern aus einem Zeitraum ab 1900 analysiert.
„Polarisierung und Populismus nehmen sowohl in den USA und Europa als auch in den Schwellenländern zu“, sagt Silja-Leena Stawikowski, Senior Account Manager Special Risks bei Willis, am Donnerstag anlässlich der Veröffentlichung des Berichts. „Für Betriebe ergeben sich daraus eine Reihe von Risiken.“
Polarisierung möge nicht so offensichtlich bedrohlich wirken wie der Ukraine-Krieg oder so unmittelbar wirtschaftlich spürbar sein wie Zollveränderungen, sagt Stawikowski. „Doch sie ist persönlicher – das erschwert nicht nur die Risikobewertung und Schadenvermeidung für Unternehmen, sondern beeinflusst auch das Miteinander, etwa in Belegschaften, unter Geschäftspartnern oder in Netzwerken.“
Der Analyse zufolge entwickeln Menschen gegenüber Mitgliedern gegnerischer politischer Parteien oder Gruppen in steigendem Maße feindselige Gefühle. Der Bericht zeigt zum Beispiel, wie vielen US-Amerikanern es missfallen würde, wenn ihr Kind jemanden von der jeweils anderen Partei heiraten würde
Demnach hätte es 1960 gerade einmal fünf Prozent gestört, wenn Schwiegersohn oder -tochter der Demokratischen statt der Republikanischen Partei angehören – und umgekehrt. 2016 zeigten sich fast jeweils zwei Drittel mit so einer Konstellation unglücklich.
Diese Art der „affektiven Polarisierung“ sei insbesondere seit dem Jahr 2000 stark angestiegen und habe 2025 einen historischen Höchststand erreicht, stellt WTW fest. „Für Unternehmen rückt damit das Thema Polarisierung unter den politischen Risiken auf Platz zwei vor – direkt hinter dem geostrategischen Wettbewerb zwischen rivalisierenden Großmächten“, so Stawikowski.
Zwar sind Länder, in denen gewaltsame politische Konflikte ausgetragen werden, in der Regel am stärksten polarisiert, hält WTW fest. Im Durchschnitt nehme die affektive Polarisierung in Demokratien derzeit aber am schnellsten zu. Betroffen seien nicht nur „Emerging Markets“ wie Brasilien, Indien, Peru oder Südafrika, sondern auch etablierte Demokratien wie Deutschland, Spanien oder die USA.
In Demokratien folgten Polarisierungsschübe in der Regel auf Wirtschaftskrisen oder Korruptionsskandale, analysiert WTW. Dies sei häufig mit dem Erstarken populistischer politischer Bewegungen und einer Zunahme politischer Gewalt einhergegangen.
Der höchste Grad an affektiver Polarisierung ist weltweit in Ländern zu verzeichnen, in denen der politische Wettbewerb entlang ethnischer oder religiöser Linien verläuft. Geopolitische und außenpolitische Differenzen können ebenfalls zu einer Polarisierung der Gesellschaft führen, so WTW.
„Politische Unsicherheit betrifft viele Länder und quasi jedes Unternehmen“, fasst Stawikowski zusammen. Aus der Analyse zahlreicher Länder sei zu schließen, dass auch im bislang attraktiv wirkenden Markt Vorsicht geboten sei.
„Ob internationaler Mittelstand oder Großkonzern – Unternehmen müssen lernen, dass eine vorausschauende Risikoanalyse in allen Ländern zwingend zu ihrer Risikostrategie gehören muss.“ Möglichkeiten, sich abzusichern, seien vorhanden.
„Gewalt, Bürgerkrieg, innere Unruhen – das sind die klassischen Risiken, bei denen eine Versicherung gegen politische Risiken greift“, so Stawikowski. Risikoangemessene Prämien seien „dank verfügbarer Kapazitäten und neuer Anbieter“ möglich, trotz wachsender Nachfrage.
Auch die Nachfrage nach Finanzierungsinstrumenten wie Bürgschaften und Garantien zur Unterstützung internationaler Geschäftsaktivitäten wachse.
Laut WTW treten neben makroökonomischen und politischen Entwicklungen zunehmend auch „staatlich induzierte Risiken“ auf. Dies äußere sich unter anderem in potenziellen Enteignungen, eingeschränktem Zugang zu Finanzierungsmitteln oder regulatorischen Eingriffen mit schwer kalkulierbaren Folgen.
Dabei seien nicht nur Sachschäden relevant. „Auch nicht-physische Schadensszenarien wie plötzliche (nachträgliche) Steuerforderungen, Lizenzentzug, gezwungene Geschäftsaufgabe, Einschränkungen bei Kapitaltransfers oder die Blockierung von Geschäftsaktivitäten durch administrative Maßnahmen seitens des Staates können erhebliche Auswirkungen auf die Geschäftskontinuität und Reputation eines Unternehmens haben.“
Der „Political Risk Index H1 2025 Edition“ (englisch) kann online gelesen werden.
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