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Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel

9.5.2025 – 20 Jahre fernere Lebenserwartung, ein Jahr später also noch 19 übrig? 100.000 Euro eingezahlt, bei 20 Jahren Lebenserwartung also 5.000 Euro Rente pro Jahr? Christoph Krischanitz erläutert, warum die Rechnung versicherungsmathematisch so nicht aufgeht.

Christoph Krischanitz (Bild: Krischanitz)
Der Autor: Versicherungsmathematiker
Christoph Krischanitz (Bild: Krischanitz)

Angenommen, Sie haben heute eine Lebenserwartung von 20 Jahren. Ok, um technisch sauber zu sein: Wir sprechen von der „ferneren“ Lebenserwartung, also den Jahren, die Sie in der Zukunft noch erwarten können.

Dann ließe sich schon daraus schließen, dass Sie nahe am Pensionsalter sind, sofern Sie dem männlichen Geschlecht angehören, und vermutlich schon in Pension sind, wenn Sie weiblich sind.

Die Frage, die sich nun stellt, ist: Wie hoch ist denn dann Ihre (fernere) Lebenserwartung in einem Jahr? „20 minus 1 ist 19“, werden Sie inbrünstig rufen. Und, zugegeben, diese Rechnung ist schwer zu widerlegen.

Alleine, sie stimmt für die Lebenserwartung nicht! Denn die Lebenserwartung reduziert sich in einem Jahr nicht um eins, sondern um etwas weniger, realistischerweise in diesem Beispiel um etwa 0,7! Die richtige Rechnung lautet also 20 minus 0,7 ist 19,3!

Eine wichtige Erkenntnis für die Vorsorge

Warum soll das so sein? Nun, ein bisschen geschummelt habe ich doch. Korrekterweise hätte ich hinzufügen müssen, „sofern Sie das nächste Jahr überleben“!

Die (fernere) Lebenserwartung beinhaltet ja als Erwartungswert alle möglichen Todeszeitpunkte in der Zukunft mit ihren entsprechenden Wahrscheinlichkeiten. Und dazu gehört auch die Wahrscheinlichkeit, das nächste Jahr nicht mehr zu erleben.

Diejenigen, die das nächste Jahr also überlebt haben werden, haben dadurch eine höhere Lebenserwartung, als der Gesamtdurchschnitt, der ja auch die wenigen beinhaltet, deren Restlebenszeit kürzer als ein Jahr ist.

Diese Erkenntnis ist wichtig, wenn Sie für die Zukunft vorsorgen wollen.

Rechnen wir’s durch

Angenommen, Sie haben 100.000 Euro gespart und wie oben eine fernere Lebenserwartung von 20 Jahren. Sie möchten nun diese 100.000 Euro in Form einer gleichbleibenden Rente verzehren. Zum einfacheren Verständnis lassen wir in diesem Beispiel Verzinsung und Inflation weg, das lenkt vom eigentlichen Thema nur ab.

Sie entnehmen also im ersten Jahr 5.000 Euro, als Ergebnis der Rechnung 100.000 dividiert durch 20. Wenn Sie das nächste Jahr nicht erleben, vererben Sie Ihren Nachkommen 95.000 Euro. Wenn Sie aber überleben, bleiben Ihnen die 95.000 Euro zum weiteren Verzehr.

Aber halt! Sie haben ja überlebt und haben dadurch einen Lebenserwartungsgewinn! Ihre Restlebenserwartung ist nun 19,3. Wenn Sie weiterhin 5.000 Euro entnehmen, bleibt Ihnen für die letzten 0,3 Jahre kein Geld mehr über! Und mit jedem Jahr, das Sie erleben, würde sich die Situation verschlimmern.

Im nächsten Jahr müssen Sie daher die Rente auf 95.000 dividiert durch 19,3 senken, das sind 4.922 Euro. Ihre Rente hat sich also nur aufgrund Ihres Überlebens um 1,6 Prozent gesenkt! Und im übernächsten Jahr würde sie weiter sinken, und mit jedem weiteren Jahr würde die Senkung stärker ausfallen, weil die Sterbewahrscheinlichkeit von Jahr zu Jahr höher wird.

(Anmerkung: Wenn Sie das Ende der Sterbetafel erreicht haben, also je nach Sterbetafel können das 100, 110 oder 120 Jahre sein, würde sich die Lebenserwartung gar nicht mehr ändern, sondern konstant bei 1 bleiben mit dem Effekt, dass die Rente 0 wäre, weil Sie nichts mehr entnehmen dürften).

Nicht nur mit der Lebenserwartung kalkulieren

Sterben Sie also früh, haben Sie wenig vom Geld; leben Sie länger, müssen Sie Ihren Lebensstandard laufend absenken.

Natürlich können Sie versuchen, mit Veranlagungsgewinnen den Verlust abzufangen, aber dann bräuchten Sie stark steigende Renditen bei einem stetig kleiner werdenden Vermögen. Eines ist klar, solche Veranlagungsstrategien gibt es nicht und kann es nicht geben.

Wer seine lebenslange Pension selbst über Investments finanzieren will, darf also nicht mit der Lebenserwartung kalkulieren, sondern muss bis zum Alter 120 rechnen, denn dieses Alter wird derzeit noch immer als das höchste zu erzielende Alter angesehen.

Das hieße im obigen Beispiel, dass die 100.000 Euro durch etwa 55 dividiert werden müssten (120 minus das angenommene Alter von 65), mit einer resultierenden Rente von 1.818 Euro, die sie aber bis zum Alter 120 gleichbleibend entnehmen können.

Durch Veranlagung könnten Sie dann Inflationssteigerungen entgegenwirken. Ein Großteil des eingesetzten Kapitals würde dann jedenfalls immer in die Erbmasse gehen, also nicht für die eigene Altersversorgung genutzt werden können.

Wie Versicherungen und Pensionskassen damit umgehen

Wie machen das denn dann Versicherungen und Pensionskassen, wenn Sie gleichbleibende lebenslange Renten anbieten?

Das Zauberwort heißt „Ausgleich im Kollektiv“, wie fast immer in der Versicherungsmathematik. Wenn nicht nur eine Person eine Rente beziehen will, sondern sehr viele, und wenn alle diese Personen ihr Geld bündeln, und wenn im Falle eines Todes das von dieser Person verbleibende Vermögen dem Kollektiv zufällt, können dadurch die Lebenserwartungsgewinne der Überlebenden finanziert werden. Ganz ohne Veranlagungszauberei.

Diese Kollektive zusammenzustellen, ist die Aufgabe der Versicherungsgesellschaften, und die korrekte Berechnung der einzuzahlenden Prämien und der auszuzahlenden Renten ist die Aufgabe der Aktuare. Damit das eingezahlte Geld bestmöglich für die Rentenzahlungen des Kollektivs verwendet wird. Ohne dass etwas überbleibt und so, dass es für jeden ausreicht.

Christoph Krischanitz

Der Autor ist Versicherungsmathematiker (profi-aktuar.at) und verfügt über langjährige Erfahrung in der aktuariellen Beratung. Krischanitz war von 2004 bis 2019 Vorsitzender des Mathematisch-Statistischen Komitees im Versicherungsverband (VVO), von 2008 bis 2014 Präsident der Aktuarvereinigung Österreichs (AVÖ). Derzeit ist er unter anderem Chairman der Arbeitsgruppe Non-Life Insurance in der Actuarial Association of Europe (AAE).

Serie „Statistik verstehen“ – bisher erschienen
Schlagwörter zu diesem Artikel
Aktuar · Altersversorgung · Pension  · Pensionskasse · Rente
 
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