Autounfall im Fahrverbot: Muss Haftpflichtversicherer zahlen?

17.6.2025 – Im Bereich eines beschränkten Fahrverbots dürfe sich kein Verkehrsteilnehmer darauf verlassen, dass kein Fahrzeugverkehr stattfindet, so der OGH. Dass die Zusatztafel „Zufahrt gestattet“ fehlte, sei aber irrelevant. Denn das Verbotszeichen „Fahrverbot“ begründe kein entsprechendes Recht eines anderen Verkehrsteilnehmers. Der aus einer benachrangten Seitengasse kommende Autolenker hatte daher keinen Vorrang gegenüber dem im Fahrverbot fahrenden Unfallgegner.

Quelle: Wikimedia Commons
Quelle: Wikimedia Commons

Im Februar 2023 war auf einer durch das Ortsgebiet führenden Bundesstraße eine Großbaustelle eingerichtet. Laut Verordnung der Bezirkshauptmannschaft sollte das Befahren der Bundesstraße verboten sein, allerdings mit der Zusatztafel „Zufahrt bis zur Baustelle gestattet“.

Tatsächlich waren aber nur Fahrverbotsschilder ohne Zusatztafel aufgestellt worden. Gleichzeitig gab es aber im Bereich der Baustelle und der ausgeschilderten Umleitung großformatige Hinweistafeln mit der Aufschrift „Zufahrt bis Raika, [Apotheke], Zufahrt zu den Geschäften bis zur Baustelle möglich“.

Zusätzlich waren Fahrverbotstafeln für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen mit der Zusatztafel „ausgenommen Linienbusse und Müllabfuhr sowie Ziel- und Quellverkehr in den Gemeinden …“ aufgestellt.

Unfall im Bereich des Fahrverbots

Am 24. Februar kam es auf einer Kreuzung im Bereich der Baustelle zu einem Unfall. M., der seinen Arbeitsplatz in der Apotheke im Ortszentrum hat, fuhr nach Dienstschluss mit seinem Pkw mit rund 20 km/h die Bundesstraße entlang, um das Ortszentrum verlassen zu können.

In diesem Augenblick näherte sich N. auf einer durch das Zeichen „Vorrang geben“ benachrangten Seitengasse aus Fahrtrichtung von M. gesehen von links kommend mit rund 15 km/h der Bundesstraße an.

N. wollte die Bundesstraße überqueren, rechnete wegen der Baustelle nicht mit Querverkehr und fuhr in einem Zug in die Kreuzung ein. Es kam zur Kollision. In einer Klage fordert M. von N. und dessen Haftpflichtversicherer knapp 8.000 Euro Schadenersatz.

Hinweisschilder ohne rechtliche Wirkung?

M. argumentiert, es habe nur ein beschränktes Fahrverbot bestanden und er habe zu seinem Arbeitsplatz zu- und abfahren dürfen.

N. sieht dagegen das Alleinverschulden von M.; dieser habe einen mit einem allgemeinen Fahrverbot belegten Bereich befahren. Es seien keine Zusatztafeln vorhanden gewesen, er habe nicht mit von rechts kommenden Fahrzeugen rechnen müssen.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es habe ein allgemeines Fahrverbot bestanden, die großformatigen Schilder hätten keine rechtliche Wirkung.

Das Berufungsgericht gab der Klage dagegen im Wesentlichen statt. Es habe nur ein beschränktes Fahrverbot bestanden, M. habe aufgrund der Hinweis- bzw. Zusatztafeln darauf vertrauen dürfen, dass die Zu- und Abfahrt zur Apotheke erlaubt ist. N. legte daraufhin Revision beim Obersten Gerichtshof ein.

Allgemeines oder eingeschränktes Fahrverbot

In seiner rechtlichen Beurteilung erklärt der OGH, dass ein Lenker, der sich auf einer Straße mit allgemeinem Fahrverbot befindet, für sich keinen Vorrang in Anspruch nehmen kann. Lenker anderer Fahrzeuge dürften darauf vertrauen, dass aus dieser Straße kein Fahrzeug kommt.

Anders verhalte es sich bei einem eingeschränkten Fahrverbot. Hier dürfe sich kein Verkehrsteilnehmer darauf verlassen, dass auf solchen Verkehrsflächen innerhalb der durch die Einschränkung des Fahrverbots gezogenen Grenzen kein Fahrzeugverkehr stattfindet.

Trotz der (entgegen der Straßenverkehrsordnung) nur am linken Straßenrand aufgestellten Verbotszeichen „Fahrverbot“ ohne Zusatztafel habe M. durch das Befahren des Baustellenbereichs aber nicht rechtswidrig gehandelt, so der OGH.

Fahrverbot begründet kein Recht eines Anderen

Grundsätzlich müsse sich zwar jedermann auf die Geltung aufgestellter Verkehrszeichen verlassen können. Verkehrsteilnehmer müssten damit rechnen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer den Verkehrszeichen entsprechend verhalten.

Voraussetzung dafür sei aber, dass dadurch ein dem gebotenen Verhalten entsprechendes Recht eines anderen Verkehrsteilnehmers zum Ausdruck kommt und der andere Verkehrsteilnehmer auch Grund zur Annahme hat, es stehe ihm ein derartiges Recht zu.

Durch das Verbotszeichen „Fahrverbot“ komme kein zum gebotenen Verhalten korrespondierendes Recht eines anderen Verkehrsteilnehmers zum Ausdruck.

Revision zurückgewiesen

M. könne daher der Verstoß gegen das – noch dazu nicht durch die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft gedeckte – Fahrverbotszeichen ohne Zusatztafel im Verhältnis zu N. nicht angelastet werden.

Außerdem sei das Zeichen „Vorrang geben“ nicht verhüllt und für N. deutlich erkennbar gewesen; damit habe N. nicht auf ein entsprechendes Recht, nämlich seinen Vorrang, vertrauen dürfen. Das Berufungsgericht habe N. damit zutreffend eine Vorrangverletzung zur Last gelegt, so der OGH.

Der Revision von N. und seines Haftpflichtversicherers wurde daher von den Höchstrichtern nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 2Ob47/25p vom 29. April 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

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