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Defekt an medizinischem Hilfsmittel: Streit mit Reiseversicherer

29.10.2025 – Der Defekt an der Sonde steht in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der bestehenden, chronischen Erkrankung, subjektiv war der Defekt für den Versicherungsnehmer nicht erwartbar, so der Oberste Gerichtshof. Damit haben sich die Ausschlussgründe der Versicherungsbedingungen nicht verwirklicht, der Versicherungsnehmer hat Anspruch auf Deckung.

Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

W.B. muss seit einer Krebsoperation im Jahr 2010 über eine Perkutane Endoskopische Gastrostomie-Sonde (laut Wikipedia ein endoskopisch angelegter künstlicher Zugang von außen durch die Bauchdecke in den Magen) ernährt werden.

Anfang März 2022 buchte er einen Flug von Wien nach Miami für den 13. Februar 2022 und den Rückflug für den 11. Juni 2022. Für den Aufenthalt schloss er eine Reiseversicherung ab. Dabei wurde er nicht nach gesundheitlichen Einschränkungen oder medizinischen Heilbehelfen gefragt.

Aufgrund einer Fehlfunktion der Sonde konnte er am 6. Mai 2022 nicht mehr über diese versorgt werden; zur Behebung der Fehlfunktion wurde er in den USA stationär in einem Krankenhaus aufgenommen. Von seinem Reiseversicherer fordert er die Übernahme der Kosten dafür.

Bedingungslage

W.B. hatte für den Aufenthalt in Miami eine Reiseversicherung abgeschlossen; vereinbart waren die „Versicherungsbedingungen für die Reiseversicherung“ (VB-RV).

Demnach bezog sich der Versicherungsschutz ausschließlich auf die im besonderen Teil beschriebenen Versicherungsfälle. Zu diesen zählt unter anderem „eine plötzlich auftretende akute Erkrankung oder ein Unfall oder der Eintritt des Todes des Versicherten während einer versicherten Reise“.

Kein Versicherungsschutz bestand, wenn der Eintritt des Schadensfalls vorhersehbar oder zur Zeit des Abschlusses des Versicherungsvertrags bereits eingetreten war.

Ebenfalls nicht versichert waren medizinische Kosten unter anderem dann, wenn die Versorgung der Behandlung einer Krankheit diente, die innerhalb von zwölf Monaten vor dem Vertragsabschluss bestand. Kosten, die für Maßnahmen der Lebenserhaltung notwendig sind, waren aber versichert.

Versicherer lehnte Leistung ab

Der Versicherer lehnte eine Zahlung ab. Es liege kein Versicherungsfall vor, weil ein technisches Gebrechen eines implantierten medizinischen Gerätes keine plötzlich auftretende akute Erkrankung oder ein Unfall sei.

Grund für die Notwendigkeit der Sonde sei eine Erkrankung, die länger als zwölf Monate vor dem Reiseantritt eingetreten sei. Außerdem habe der Versicherungsnehmer erklärt, für solche Fälle einen „Ersatzbutton“ mit sich zu führen; es habe sich daher um kein nicht vorhersehbares Ereignis gehandelt.

Während das Erstgericht der Klage stattgab, hob das Berufungsgericht diese Entscheidung auf. Seit der Krebsoperation liege eine Erkrankung vor,die innerhalb von zwölf Monaten vor dem Vertragsabschluss bestanden hat, weshalb der Ausschluss verwirklicht sei.

Allerdings seien Kosten, die für Maßnahmen der Lebenserhaltung notwendig sind, versichert. Da Feststellungen fehlten, ob durch die Fehlfunktion der Sonde die Versorgung des Klägers nicht mehr gewährleistet war, wurde die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Zum Versagen eines in den Körper integrierten Hilfsmittels

W.B. Legte daraufhin Rekurs beim Obersten Gerichtshof ein. Dieser geht in seiner rechtlichen Beurteilung auf den Begriff der plötzlich auftretenden akuten Erkrankung ein. Lehre und Rechtsprechung würden von einem rein objektiven Krankheitsbegriff ausgehen.

Krankheit sei ein anormaler körperlicher oder geistiger Zustand, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt. Akut wiederum bedeute in der Medizin, dass etwas plötzlich und ohne zuvor erkennbare Anzeichen auftritt.

In der deutschen Literatur werde vertreten, dass dann, wenn das Versagen oder der Bruch eines Hilfsmittels, das in den Körper integriert ist, zu körperlichen Beeinträchtigungen oder zu einem Krankheitszustand führt, von einer unerwarteten schweren Erkrankung ausgegangen werden muss.

Dieser Beurteilung schließt sich der OGH an. Wenn der Defekt eines in den Körper integrierten Hilfsmittels körperliche Beeinträchtigungen zur Folge hat oder zu einem Krankheitszustand führt, so liege für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer eine Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen vor.

Primäres Risiko verwirklicht

Im vorliegenden Fall befinde sich der Versicherungsnehmer seit seiner Krebsoperation in einem anormalen körperlichen Zustand, weil er Nahrung nicht mehr oral zu sich nehmen kann und über eine Sonde ernährt werden muss. Damit liege eine chronische Erkrankung vor.

Diese Erkrankung werde durch die Sonde ausgeglichen; trete an dieser aber ein Defekt auf, könne der Versicherungsnehmer auch auf diesem Weg keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Dies sei ein neuer anormaler Zustand, der mit der bestehenden Krankheit nicht in ursächlichem Zusammenhang steht.

Damit habe es sich aufgrund der Fehlfunktion der Sonde um eine plötzlich auftretende akute Erkrankung des Klägers gehandelt, das versicherte Risiko nach der primären Risikoabgrenzung habe sich verwirklicht.

Diese Erkrankung müsse von der bereits zuvor bestehenden chronischen Erkrankung unterschieden werden, der Ausschlussgrund für die Kosten der medizinischen Versorgung einer bestehenden Krankheit liege daher nicht vor. Ob die Maßnahmen für die Lebenserhaltung notwendig waren, sei nicht relevant.

Subjektiv nicht vorhersehbar

Zu klären sei daher, ob es sich um ein nicht vorhersehbares Ereignis gehandelt habe. Der Versicherer argumentiere, dass dieses nicht unerwartet oder plötzlich eingetreten sei, weil der Versicherungsnehmer nach eigenen Aussagen für derartige Fälle stets einen Ersatzbutton mitführt.

Für das Vorliegen des Merkmals „unerwartet“ komme es auf die subjektive Sicht des Versicherungsnehmers an, so der OGH. Unerwartet sei ein Ereignis dann, wenn es von diesem im Zeitpunkt der Vertragserklärung nicht vorhergesehen und nicht mit einberechnet wurde.

Auch dürfen dem Versicherungsnehmer keine Tatsachen bekannt gewesen sein, die für eine erhebliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts sprechen. Das Mitführen eines Ersatzbuttons sei aber eine Vorsichtsmaßnahme und lasse keinen Rückschluss auf die Eintrittswahrscheinlichkeit zu.

Konkrete Umstände für eine dem Versicherungsnehmer bekannte, erhebliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Defekts würden nicht feststehen. Auch dieser Ausschlussgrund habe sich nicht verwirklicht. Der Rekurs war berechtigt, der Kläger habe Anspruch auf Deckung der Kosten.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 7Ob32/25v vom 25. September 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Gesundheitsreform · Reiseversicherung
 
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