13.9.2024 – Zweck der Tätigkeitsklausel sei es, Versicherer vor einem erhöhten Risiko zu schützen, das sich aus einer bewussten und gewollten Einwirkung auf eine Sache ergibt. Das reflexartige Zuschlagen eines Fensters, um sich vor einer Wespe zu schützen, sei aber weder bewusst noch gewollt. Dem Versicherer wurde von der Schlichtungsstelle der Makler die Deckung empfohlen.
Eine Schülerin stand vor Unterrichtsbeginn vor einem geöffneten Fenster in ihrer Klasse. Durch die Öffnung kam eine Wespe, flog ihr ins Gesicht und wieder zurück in den Radius des Fensterflügels.
Um sich der Bedrohung durch das Insekt zu entziehen, schlug die Schülerin das Fenster, wie die Mutter schreibt, „mit sanfter Gewalt“ zu, wodurch aber im Fensterglas vollflächig Risse entstanden.
Von ihrem Privathaftpflichtversicherer wollte die Mutter wissen, ob eine Haftung ihrer mitversicherten Tochter besteht, und bat „gegebenenfalls um Befriedigung des Schadenersatzanspruchs“.
Der Versicherer lehnte eine Deckung ab, da Tätigkeitsschäden an unbeweglichen Sachen laut den Versicherungsbedingungen nicht von Versicherungsschutz umfasst seien.
Die Mutter der Schülerin verfügt über eine „Privatschutz-Versicherung“, in der auch eine Privathaftpflichtversicherung inkludiert ist. Als Versicherungsfall ist ein Schadenereignis definiert, aus dem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen erwachsen oder erwachsen können.
Als nicht versichert gelten laut den Allgemeinen Bedingungen Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an beweglichen Sachen, „die bei oder infolge ihrer Benützung, Beförderung, Bearbeitung oder einer sonstigen Tätigkeit an oder mit ihnen entstehen“.
Laut ebenfalls vereinbarter Besonderer Bedingungen sind solche Schäden aber dann versichert, wenn die Sache nicht vom Versicherungsnehmer geleast, gemietet, gepachtet, in Verwahrung genommen oder einer Bearbeitung wie Reparatur oder Wartung unterzogen wurde.
Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an Teilen von unbeweglichen Sachen, die unmittelbar Gegenstand einer Bearbeitung, Benützung oder sonstiger Tätigkeit sind, sind jedenfalls nicht vom Versicherungsschutz umfasst.
Die Versicherungsnehmerin wandte sich aufgrund der Deckungsablehnung über ihren Makler mit einem Schlichtungsantrag an die Rechtsservice- und Schlichtungsstelle des Fachverbandes der Versicherungsmakler und Berater in Versicherungssachen (RSS).
Sie argumentiert im Schlichtungsantrag, dass der Tätigkeitsausschluss nicht anzuwenden sei, da die Tochter das Fenster aufgrund ihres offenkundigen Erschreckens reflexartig zugeworfen habe, was keine „bewusste und gewollte Handlung“ gewesen sei.
Darüber hinaus sei der betroffene Fensterflügel als bewegliche Sache anzusehen, weshalb der Schaden gemäß der Besonderen Bedingungen vom Versicherungsschutz umfasst sei.
In ihrer Empfehlung geht die RSS einleitend auf den Begriff der „unbeweglichen Sache“ ein. § 294 ABGB definiere in diesem Zusammenhang „Zugehör“ als „dasjenige, was mit einer Sache in fortdauernde Verbindung gesetzt wird“.
Dazu würden auch „unselbständige Bestandteile“ zählen, deren Verbindung mit der Hauptsache so eng ist, dass sie von dieser nicht oder wirtschaftlich nicht sinnvoll abgetrennt werden können. Diese Bestandteile teilen rechtlich grundsätzlich das Schicksal der Hauptsache.
Ein eingebautes Fenster sei Bestandteil der unbeweglichen Sache „Haus“; es könne nicht ohne Substanzverletzung für andere Häuser Verwendung finden, betont die RSS. Zwar seien Fenster für sich genommen beweglich, im rechtlichen Sinn bleiben sie aber Teil einer unbeweglichen Sache.
Ursprüngliches Ziel der Tätigkeitsklausel in der Haftpflichtversicherung sei es gewesen, Versicherer von jenen Risiken zu befreien, die sich aus einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers ergeben.
In der Privathaftpflichtversicherung sei es Zweck der Tätigkeitsklausel, Versicherer von einem erhöhten Risiko zu befreien, das sich aus einer bewussten und gewollten, auf einen bestimmten Zweck abgestellten und nicht nur zufälligen Einwirkung auf eine Sache ergibt.
Dabei sei subjektiv eine bewusste und gewollte Einwirkung auf die Sache erforderlich und ausreichend; eine bewusste und gewollte schadenstiftende Handlung sei nicht notwendig.
Im vorliegenden Fall habe die Tochter der Antragstellerin das Fenster reflexartig zugeschlagen; es habe also an einer bewussten und gewollten Einwirkung auf das Fenster im Sinne der Tätigkeitsklausel gefehlt.
Ob das reflexartige Handeln überhaupt ein Verschulden und damit einen Schadenersatzanspruch gegenüber der Schülerin begründet, könne im Schlichtungsverfahren nicht beurteilt werden, so die RSS.
Die Schlichtungsstelle empfahl dem Versicherer die Deckung des Schadens.
Die Empfehlung der RSS kann als PDF-Dokument (161 KB) von der Website des Fachverbandes heruntergeladen werden.
Ihre Leserbriefe können für andere Leser eine wesentliche Ergänzung zu unserer Berichterstattung sein. Bitte schreiben Sie Ihre Kommentare unter den Artikel in das dafür vorgesehene Eingabefeld.
Die Redaktion freut sich auch über Hintergrund- und Insiderinformationen, wenn sie nicht zur Veröffentlichung unter dem Namen des Informanten bestimmt ist. Wir sichern unseren Lesern absolute Vertraulichkeit zu! Schreiben Sie bitte an redaktion@versicherungsjournal.at.
Allgemeine Pressemitteilungen erbitten wir an meldungen@versicherungsjournal.at.
Der VersicherungsJournal Newsletter informiert Sie von montags - freitags über alle wichtigen Themen der Branche.
Ihre Vorteile