27.9.2024 – Der Oberste Gerichtshof entschied: Erfrierungen sind zwar normalerweise kein Unfall, weil sie nicht plötzlich auftreten. Ist jemand aber durch ein plötzlich auftretendes Ereignis in seiner Fortbewegungsmöglichkeit eingeschränkt und führe dies zu den Erfrierungen, kann es sich um einen Unfall handeln. Damit besteht im Prozess gegen den Unfallversicherer hinreichende Aussicht auf Erfolg, der Rechtsschutzversicherer muss Deckung gewähren.
Im Rahmen einer organisierten Expedition musste ein Bergsteiger wegen eines Schwächeanfalls eines Bergsteigerkollegen sowie eines von einer anderen Bergsteigergruppe verursachten Staus am Eingang zu einem Pass längere Zeit in eisiger Kälte ausharren.
Er erklärt, dass er durch diese Ereignisse vermehrt der Einwirkung von Kälte ausgesetzt war, was das Entstehen von Erfrierungen gefördert habe. Von seinem Unfallversicherer fordert er deshalb die Anerkennung als Unfall.
Für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Unfallversicherungsvertrag ersuchte er um Deckung durch seinen Rechtsschutzversicherer. Dieser war bereit, die eigenen Kosten des Versicherungsnehmers zu übernehmen, nicht aber die der Gegenseite.
Der Versicherungsnehmer hat einen Rechtsschutzversicherungsvertrag abgeschlossen, vereinbart sind die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2005).
Nach Artikel 9 dieser Bedingungen hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Besteht hinreichend Aussicht, in einem Verfahren zu obsiegen, muss er demnach alle Kosten übernehmen.
Ist unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher als ein Obsiegen, kann er die Übernahme der Kosten der Gegenseite ablehnen, besteht erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg, kann er die Kostenübernahme zur Gänze ablehnen.
Der Versicherungsnehmer strengte daraufhin einen Deckungsprozess gegen seinen Rechtsschutzversicherer an. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass eine Klage gegen den Unfallversicherer hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und gab der Deckungsklage statt.
Gegen dieses Urteil legte der Versicherer Revision beim Obersten Gerichtshof ein. Dieser erklärte in seiner rechtlichen Beurteilung, dass im Revisionsverfahren nur noch die Frage strittig sei, ob das Klagebegehren gegen den Unfallversicherer keine oder doch hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
In der Rechtsschutzversicherung sei bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen, so der OGH. Es genüge eine „nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs“, wobei die Beurteilung der Erfolgsaussichten von den Umständen des Einzelfalls abhänge.
Zur Beurteilung der Erfolgsaussichten dürfe im Deckungsprozess weder eine Vorwegnahme der Ergebnisse des zu deckenden Prozesses durch Klärung der dort gegenständlichen Rechtsfragen noch eine Vorwegnahme der Klärung der Tatfragen erfolgen, betonen die Höchstrichter.
Bereits in früheren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs seien Erfrierungen zwar als Gesundheitsschädigungen, nicht aber als Unfallereignisse qualifiziert worden, weil sie allmählich und nicht plötzlich auftreten.
Erfrierungen können daher nur dann unter den Versicherungsschutz fallen, wenn sie durch ein Unfallereignis verursacht wurden. Das Erfordernis der Plötzlichkeit beziehe sich nämlich nur auf das von außen auf den Körper wirkende Ereignis, nicht aber auf die Unfallfolge.
Eine Situation könne auch dann zu einem Unfall führen, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis in einer wesentlichen körperlichen Funktionalität beeinträchtigt wird, ohne eine Verletzung am Körper zu erleiden.
Eine solche Beeinträchtigung beispielsweise der Fortbewegungsmöglichkeit müsse dazu führen, dass er in eine hilflose Lage gerät, die dann zumindest mitursächlich für den relevanten Gesundheitsschaden ist.
Das Berufungsgericht hatte erklärt, dass der vom Kläger vorgebrachten Situation, die auf einer unglücklichen Verkettung näher dargestellter Umstände beruhe, eine gewisse Ausweglosigkeit nicht abzusprechen sei.
Die Ereignisse, denen der Bergsteiger im vorliegenden Fall ausgesetzt war, hätte er bei einem gewöhnlichen Ablauf seines Abstiegs aus dem Hochgebirge nicht vorhersehen müssen. Diese Rechtsansicht sei im Einzelfall nicht korrekturbedürftig, so der OGH in seiner Entscheidung.
Ohne eine vorgreifende Würdigung der im Prozess gegen den Unfallversicherer zu klärenden Rechtsfrage des Vorliegens eines Unfalls sei eine Beurteilung, ob das Unterliegen des Klägers wahrscheinlicher ist als sein Obsiegen, nicht möglich.
Der Versicherer habe die Voraussetzungen für eine teilweise Deckungsablehnung mangels Aussicht auf hinreichenden Erfolg damit nicht aufzeigen können. Die Revision wurde zurückgewiesen, der Versicherer muss daher alle Kosten eines Verfahrens gegen den Unfallversicherer übernehmen.
Die OGH-Entscheidung 7Ob107/24x vom 28. August 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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