Experten: Wie individuell eine Rechtsschutzversicherung sein soll

24.6.2025 – Grundsätzlich würden die vorhandenen Bausteine den Bedürfnissen der Versicherungsnehmer entsprechen, ständige Weiterentwicklung sei aber notwendig. Manche Risiken dürften aber nie versicherbar werden, weil die Prämie dafür nicht leistbar wäre. Zu viel Individualisierung sei nicht sinnvoll, das Bausteinsystem biete Möglichkeiten für die jeweilige Lebenssituation.

Bild: Thorben Wengert auf pixelio.de
Bild: Thorben Wengert auf pixelio.de

Der Oberste Gerichtshof (OGH) betont regelmäßig in seinen Entscheidungen, dass es in Österreich keine All-Risk-Versicherung gibt. In der Rechtsschutzversicherung sollen deshalb „Bausteine“ eine möglichst vollständige und gleichzeitig bedarfsgerechte Abdeckung bieten.

Im Rahmen eines Expertenpanels zum Thema Rechtsschutzversicherung haben wir deshalb gefragt, ob die vorhandenen Bausteine noch den Bedürfnissen der Versicherungsnehmer entsprechen und ob bzw. welche Lücken es in der Rechtsschutzversicherung gibt.

Weiters wollten wir wissen, welcher Handlungsbedarf aktuell für Versicherer, Berater und Versicherungskunden aufgrund neuer Risiken, Regulierungen oder Gesetze besteht und wie weit eine Individualisierung des Versicherungsschutzes sinnvoll ist.

Weiterentwicklung der Bausteine nötig

Grundsätzlich würden die vorhandenen Bausteine den Bedürfnissen der Versicherungsnehmer entsprechen, betont Birgit Eder, CEO der Arag SE, Direktion für Österreich. Es sei aber ständige Weiterentwicklung notwendig, um gesellschaftlichen und technologischen Wandel abzubilden.

Auch Thomas Lackner, CEO der HDI Versicherung AG, betont, dass die Leistungsumfänge der einzelnen Bausteine nach wie vor aktuell sind. Die meisten Kunden seien auch mit einem „Standard-Produkt“ gut abgesichert.

Daneben müsse man sich auch Gedanken zu neuen Streitbeilegungsmöglichkeiten machen, ergänzt Eder. So biete die Arag seit kurzem im Rahmen der Wirtschaftsmediation auch die Übernahme von Gutachterkosten an, um eine gerichtliche Auseinandersetzung zu verhindern.

Wo die Experten Lücken sehen

Eder sieht Herausforderungen vor allem im Bereich neuer digitaler Lebensrisiken, beispielsweise bei Deepfakes, Online-Mobbing oder KI-generierten Inhalten. Aber auch alternative Arbeitsformen wie beispielsweise Plattformarbeit würden klassische Modelle infrage stellen.

Gerade bei neuen technologischen Entwicklungen sei die Rechtslage zu Beginn noch sehr unklar, so Eder. Man müsse daher stets aufmerksam neue gesellschaftliche Entwicklungen mitverfolgen, um keine zukünftigen Lücken entstehen zu lassen.

Patrick Rechberger, Leiter des Makler- und Agenturvertriebs bei der Ergo Versicherung AG, weist aber ebenso wie Lackner darauf hin, dass Prämien für bestimmte Risiken wie Scheidungen oder allgemeine Verwaltungsverfahren zu üblichen Privatrechtsschutz-Prämien nicht versicherbar wären.

Keine Lücken in der Rechtsschutzversicherung sieht Martin Moshammer, Hauptbevollmächtigter der Roland Rechtsschutz-Versicherung AG, Direktion für Österreich. Diese wären aufgrund des bestehenden Mitbewerbs bereits geschlossen worden.

Aktuelle Herausforderungen

„Die Herausforderung besteht darin, den ,Wald vor lauter Bäumen‘ noch zu sehen und sich am ursprünglichen Versicherungsgedanken zu orientieren. Wo liegen existenzgefährdende Risiken, gegen die ich mich absichern muss und wo eben nicht“, sagt Moshammer.

Es komme schlichtweg auf die Deckung an und darauf, den Überblick zu behalten, welche Ausschlüsse vorhanden und relevant sind. Bisweilen verliere man sich in Details, die in der Praxis kaum bis gar keine Rolle spielen.

Regelmäßige Updates der Produktwelt und eine klare Kommunikation zu neuen Risiken seien nötig, so Eder. Angesichts der wachsenden Regulierungsdichte würden Informations- und Absicherungsbedarf steigen. Lackner weist dazu auch auf die Wichtigkeit einer persönlichen Beratung hin.

Und für Rechberger sind auch die stetige Prüfung und Optimierung der angebotenen Produkte im Hinblick auf Kundenbedürfnisse und Attraktivität am Markt unerlässlich.

So individuell wie möglich?

Der Individualisierung von Versicherungslösungen seien grundsätzlich keine Grenzen gesetzt, so Moshammer. Eder warnt aber, dass zu viel Individualisierung unübersichtlich werden kann; ein klar strukturierter Produktbaukasten mit Berücksichtigung aktueller Lebensrealitäten schaffe Transparenz und Sicherheit.

Baukastensysteme würden auch den Mehrwert bieten, dass Produkte auf die eigene Lebenssituation zugeschnitten werden können, ergänzt Lackner. Ein Baukastensystem ohne Grenzen sei nicht zielführend, essenziell seien Beratung und Bedürfnisanalyse durch Experten.

Grenzen der Individualisierung sieht Moshammer in der Bereitschaft der Versicherungsnehmer, dafür auch eine entsprechende Prämie zu leisten. Die Herausforderung stelle vor allem die IT-technische Verarbeitbarkeit dar; diese gelte es zu bepreisen.

Sinnvoll sei es, „die großen Überschriften abzufragen“, so Rechberger. Beispielsweise sei es nicht sinnvoll, den Straf-Rechtsschutz „durch Sonderpakete aufzudröseln“. Wenn Straf-Rechtsschutz versichert ist, solle gleichzeitig der größte Deckungsumfang in dem Baustein enthalten sein.

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