Haftpflichtstreit nach Unfall beim Aussteigen aus dem Auto

29.1.2025 – Der Mann ist zum rechten Fahrbahnrand zugefahren und hat sein Fahrzeug teilweise auf einem Fahrradstreifen verkehrsbedingt zum Stillstand gebracht. Die Frau hat aber die Verkehrslage gekannt. Für beide stellte sich die Situation unklar dar, durch eine Kontaktaufnahme hätte der Unfall vermieden werden können. Ein gleichteiliges Verschulden sei deshalb angemessen, so der Oberste Gerichtshof.

Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

Ein Ehepaar war im November 2022 gemeinsam mit der Mutter der Frau mit einem Pkw unterwegs auf dem Weg zum Augenzentrum Simmering. Die Ehefrau saß dabei auf der Rücksitzbank hinter dem Beifahrersitz.

Während ursprünglich eine bestimmte Stelle vereinbart gewesen war, an der die Frau hätte aussteigen sollen, kündigte ihr Mann, der das Fahrzeug lenkte, an, sie noch näher an die Zieladresse in der Simmeringer Hauptstraße bringen zu wollen.

Daraufhin bog er nach links in die Simmeringer Hauptstraße ein, wobei sich das Fahrzeug zum Teil auf dem rechts befindlichen, durch Bodenmarkierungen gekennzeichneten Fahrradstreifen befand. Verkehrsbedingt musste er anhalten, seine Frau wollte er aber erst weiter vorne aussteigen lassen.

Die Frau glaubte aufgrund des Zufahrens zum rechten Fahrbahnrand, an dieser Stelle aussteigen zu sollen. Sie öffnete die Tür und machte einen Schritt aus dem Auto hinaus. In diesem Augenblick setzte ihr Ehemann den Pkw wieder in Bewegung, die Frau wurde daduch schwer verletzt.

Haftpflichtversicherer geklagt

Vom Haftpflichtversicherer des Pkw fordert die Ehefrau in einer Klage Schadenersatz in Höhe von etwas mehr als 15.000 Euro sowie Feststellung der Haftung des Versicherers. Das Alleinverschulden treffe ihren Mann, der übersehen habe, dass sie schon ausgestiegen war.

Der Versicherer sieht dagegen das Alleinverschulden bei der Ehegattin; sie sei, ohne mit ihrem Mann Rücksprache zu halten, ausgestiegen. Ihr Mann habe nur verkehrsbedingt angehalten, es habe kein Anzeichen dafür gegeben, dass er sie bereits habe aussteigen lassen wollen.

Das Erstgericht gab der Klage statt, ging aber von einem Mitverschulden der Frau im Ausmaß von einem Viertel aus. Das Berufungsgericht sah dagegen gleichteiliges Verschulden und änderte das Urteil entsprechend ab.

Es habe für beide eine unklare Verkehrssituation bestanden, der sie vor der Weiterfahrt bzw. vor dem Aussteigen durch eine entsprechende Kontaktaufnahme hätten begegnen müssen, so das Berufungsgericht. Die ordentliche Revision beim Obersten Gerichtshof wurde zugelassen.

OGH zum Begriff des Mitverschuldens

In seiner rechtlichen Beurteilung betont der OGH, dass dem Ehemann als Lenker des Fahrzeugs unstrittig ein Verschulden zur Last liegt. Strittig sei nur das Mitverschulden der Ehegattin im Sinne des § 1304 ABGB.

Mitverschulden setze dabei weder ein Verschulden im technischen Sinne noch Rechtswidrigkeit des Verhaltens voraus. Es genüge eine Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, worunter auch die Gesundheit falle. Auch Untätigkeit könne zu Mitverschulden führen.

Entscheidend sei, dass dem Geschädigten sein Verhalten subjektiv vorwerfbar und für die Entwicklung des Schadens kausal sei. Das Ausmaß des Mitverschuldens stelle aber aufgrund der Einzelfallbezogenheit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage dar.

Kontaktaufnahme hätte Unfall verhindert

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Ehefrau treffe ein Mitverschulden von 50 Prozent, sei nicht korrekturbedürftig, so der OGH. Maßgeblich sei, dass die beiden Ehepartner nur vereinbart hatten, dass er sie noch ein Stück näher bringen wollte, aber kein Ausstiegsort festgelegt war.

Zu berücksichtigen sei, dass der Frau die Verkehrslage bekannt war, sowie die Tatsache, dass der Ehemann das Fahrzeug nach dem Einbiegevorgang in Richtung des Fahrbahnrandes gelenkt hatte und teils auf dem Fahrradstreifen, teils auf der Fahrbahn angehalten hatte.

Damit habe sich für beide eine gleichermaßen unklare Situation betreffend das weitere Verhalten des jeweils anderen ergeben, der beide durch eine wechselseitige Kontaktaufnahme vor dem Weiterfahren bzw. vor dem Aussteigen hätten begegnen können.

Der Hinweis darauf, dass die Frau auch bei früheren Fahrten ohne Kontaktaufnahme ausgestiegen sei, sei nicht entscheidungswesentlich, so der OGH. Die Revision wurde mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage als unzulässig zurückgewiesen.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 2Ob204/24z vom 12. Dezember 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Gesundheitsreform · Pkw
 
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