8.7.2025 – Weder das Befahren einer engen Straße noch die Überschreitung der Fahrbahnmitte durch einen Teil des Fahrzeugs stellen eine außerordentliche Betriebsgefahr des Lkw dar, so die Höchstrichter. Die gewöhnliche Betriebsgefahr des Lkw trete aber hinter das Verschulden des mit weit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden Pkw-Lenkers zurück. Dessen Schadenersatzforderung wurde zurückgewiesen.
In einer Kurve war der hintere Teil eines Sattelzugfahrzeugs mit rumänischem Kennzeichen über die Fahrbahnmitte hinausgekommen und überragte die Leitlinie.
Der Lenker eines entgegenkommenden Pkw war mit überhöhter Geschwindigkeit in die Kurve eingefahren und bremste ohne Notwendigkeit so stark, dass er über die Fahrbahnmitte schlitterte und mit der Front des Zugfahrzeugs kollidierte. Er wurde bei dem Unfall verletzt.
Der Pkw-Lenker klagte daraufhin den Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs auf Schadenersatz und Feststellung der Haftung. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, der Pkw-Lenker wandte sich daraufhin in einer außerordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof.
Leitlinien würden keine Gebote oder Verbote bewirken, sondern dazu dienen, den Verkehr zu leiten und zu ordnen, so der OGH einleitend. Das Überfahren einer Leitlinie sei nicht verboten, sie gelte aber als Trennungslinie für die Abwicklung des Verkehrs in die entgegengesetzten Richtungen.
Zur Einhaltung des Rechtsfahrgebots des § 7 Absatz 1 StVO sei aber eine Fahrlinie nötig, die sich so weit von der Fahrbahnmitte entfernt befindet, dass sich ein ausreichender seitlicher Sicherheitsabstand zwischen einander begegnenden Fahrzeugen einhalten lässt.
Im vorliegenden Fall sei das Überfahren der Fahrbahnmitte durch den hinteren Teil des Sattelzugs aufgrund der örtlichen Gegebenheiten unvermeidbar gewesen. Allein das Befahren einer Straße, auf der sich ein teilweises Überfahren der Fahrbahnmitte nicht vermeiden lässt, verstoße aber nicht gegen die StVO.
Die Entscheidung der Vorinstanzen, die dem Lkw-Fahrer allein aufgrund der Benützung der engen Straße keinen Verstoß gegen § 7 Absatz 1 StVO angelastet haben, sei daher nicht korrekturbedürftig, so die Höchstrichter.
Werde die Gefährlichkeit, die regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb eines Fahrzeugs verbunden ist, durch das Hinzutreten besonderer Gefahrenmomente vergrößert, so liege eine außergewöhnliche Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Absatz 2 Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG) vor.
Voraussetzung sei, dass zur gewöhnlichen Betriebsgefahr besondere Gefahrenmomente hinzutreten, die nach dem normalen Ablauf der Dinge nicht schon dadurch gegeben waren, dass ein Fahrzeug überhaupt in Betrieb gesetzt wurde.
Ein minimales Überschreiten der Fahrbahnmitte bei ansonsten unauffälligem Fahrverhalten begründe keine außergewöhnliche Betriebsgefahr, so der OGH. Unklarheiten im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer außerordentlichen Betriebsgefahr würden zu Lasten des Geschädigten gehen.
Die Entscheidung der Vorinstanzen, dass es sich bei der nicht näher feststehenden Überschreitung der Fahrbahnmitte nur durch den Sattelanhänger noch nicht um eine außergewöhnliche Betriebsgefahr gehandelt hat, sei ebenfalls nicht korrekturbedürftig.
Die damit bloß gewöhnliche Betriebsgefahr des Sattelzugs trete hinter das Verschulden des Klägers zurück, der mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei und ohne Notwendigkeit eine starke Bremsung eingeleitet habe, hatten die Vorinstanzen geurteilt.
Auch dies sei nicht zu beanstanden, so der OGH. § 20 Absatz 1 StVO bestimme, dass die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen Umständen anzupassen sei. Das betreffe auch das Fahrkönnen des Fahrzeuglenkers; dieser müsse das Fahrzeug jederzeit beherrschen können.
In einer Kurve sei die zulässige Geschwindigkeit nicht jene, welche aufgrund der technischen Eigenschaften des benützten Fahrzeugs das Befahren der Kurve bei einigem Fahrkönnen gerade noch zulässt, sondern jene, die vom Standpunkt der Sicherheit risikoloses Durchfahren gewährleistet.
Im vorliegenden Fall habe der Pkw-Lenker eine Geschwindigkeit eingehalten, bei der das Durchfahren der Kurve eine sehr anspruchsvolle Fahraufgabe im unmittelbaren Nahbereich des fahrdynamischen Grenzzustandes bzw. der Beherrschbarkeit eines Pkw ist.
Es entspreche den Grundsätzen der Rechtsprechung, wenn die Vorinstanzen dem Pkw-Lenker damit einen Verstoß gegen § 20 Absatz 1 StVO angelastet haben, so der OGH. Die außerordentliche Revision wurde mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen.
Die OGH-Entscheidung 2Ob76/25b vom 3. Juni 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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