OGH: Acht Klauseln in Reiseversicherung unzulässig

26.5.2023 – In den vom Obersten Gerichtshof für unzulässig beurteilten Bestimmungen ging es unter anderem um Ausschlüsse vom Versicherungsschutz, um die Verletzung von Obliegenheiten, die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen und um ärztliche Atteste und Untersuchungen.

Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

Als nach § 29 Abs. 1 Konsumentenschutzgesetz (KSchG) zur Verbandsklage berechtigter Verband ist die Bundesarbeitskammer gegen insgesamt 18 Klauseln in Reiseversicherungsbedingungen eines Versicherers gerichtlich vorgegangen.

In einer Klage fordert sie die Unterlassung der Verwendung und der Berufung auf diese oder sinngleiche Klauseln. Erst- und Berufungsgericht gaben der Klage in unterschiedlichem Ausmaß statt, das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision beim Obersten Gerichtshof zu.

Der OGH hatte sich dabei mit 13 Klauseln zu beschäftigen, die übrigen Entscheidungen der Vorinstanzen blieben unbekämpft. Von den 13 in der Revision beurteilten Klauseln erachtete der OGH acht als unzulässig, die in der Folge näher erläutert werden.

Grundsätze des Verbandsprozesses

Einleitend geht der Oberste Gerichtshof auf die Grundsätze in einem nach § 28 KSchG geführten Verbandsprozess ein und betont, dass in einem solchen Prozess Klauseln im kundenfeindlichsten Sinn auszulegen sind.

Nach § 864a ABGB sei eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und die damit einen „Überrumpelungseffekt“ beinhalte, objektiv ungewöhnlich. Auch dürfe die Klausel im Text nicht versteckt sein, so dass sie nicht dort gefunden wird, wo sie vermutet werden kann.

Maßgeblich sei weiters § 879 Abs. 3 ABGB. Im Versicherungsvertragsrecht liege dabei eine „gröbliche Benachteiligung“ bereits dann vor, wenn die zu prüfende Klausel eine wesentliche Einschränkung gegenüber dem Standard bringt, der von einer solchen Versicherung erwartet werden kann.

Darüber hinaus bestimme § 6 Abs. 3 KSchG, dass Vertragsbestimmungen in Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern unwirksam sind, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst sind (Transparenzgebot); Inhalt und Tragweite der Klauseln müssten für Verbraucher durchschaubar sein.

Behördliche Verfügungen

  • „Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] aufgrund behördlicher Verfügungen hervorgerufen werden; […]“

Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer bleibe bei dieser Klausel völlig offen, welche Ereignisse aufgrund behördlicher Verfügungen hervorgerufen werden und an wen sich diese behördlichen Verfügungen richten müssen, so der OGH.

Der Versicherungsnehmer könne damit seine Rechtsposition nicht verlässlich abschätzen, sodass die Gefahr besteht, dass er aufgrund der unbestimmten Begriffe davon absieht, mögliche berechtigte Ansprüche gegen den Versicherer geltend zu machen.

Damit sei die Klausel im Sinne des § 6 Abs. 3 KSchG intransparent und unzulässig.

Erhöhtes Unfallrisiko

  • „Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] entstehen, wenn die versicherte Person einem erhöhten Unfallrisiko durch körperliche Arbeit, Arbeit mit Maschinen, Umgang mit ätzenden, giftigen, leicht entzündlichen, explosiven oder gesundheitsgefährdenden Stoffen sowie elektrischer oder thermischer Energie ausgesetzt ist (gilt nicht für Reisestorno).“

Bei kundenfeindlichster Auslegung erfasse diese Klausel auch zahlreiche auf Reisen typische Tätigkeiten, da bei diesen aufgrund einer der aufgezählten und weit gefassten Ursachen ein erhöhtes Unfallrisiko bestehe.

Dem Argument des Versicherers, dass Haushaltstätigkeiten zwar unter den Begriff der körperlichen Arbeit subsumiert werden können, durch diese aber kein erhöhtes Unfallrisiko realisiert werde, widerspricht der OGH angesichts der „allgemein bekannt hohen Zahl von Haushaltunfällen“.

Es sei auch nicht klar, ob von thermischer und elektrischer Energie ein ähnliches Gefahrenpotenzial ausgehen müsse wie von ätzenden, giftigen und explosiven Stoffen, damit der Risikoausschluss zum Tragen komme.

Für einen derart weit gefassten Risikoausschluss gebe es keine sachliche Rechtfertigung, weshalb die Klausel gegen § 879a Abs. 3 ABGB verstoße; sie ist daher unzulässig.

Sanktionen und Embargos

  • „Kein Versicherungsschutz besteht, soweit und solange diesem auf die Vertragsparteien direkt anwendbare Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos der Europäischen Union oder der Republik Österreich entgegenstehen. Dies gilt auch für Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos, die durch andere Länder erlassen werden, soweit dem nicht europäische oder österreichische Rechtsvorschriften entgegenstehen.“

Was den ersten Satz betrifft, sei es völlig unklar, inwiefern Embargos der EU oder Österreichs dem Versicherungsschutz einer Reisestorno- und Reiseabbruchversicherung entgegenstehen können, so der OGH.

Ein Versicherungsnehmer könne nicht ansatzweise gesichert einschätzen, wann und in welchem Umfang es zum Entfall des Versicherungsschutzes kommen kann. Insbesondere seien die Begriffe „solange“ und „entgegenstehen“ unklar und unscharf.

Auch die Reichweite des Ausschlusses im zweiten Satz dieser Klausel bleibe für den Verbraucher im Dunkeln. Mit der Formulierung „soweit dem nicht […] Rechtsvorschriften entgegenstehen“ werde ihm das Risiko aufgebürdet, die teilweise Rechtswidrigkeit der beanstandeten Regelung zu erkennen.

Damit werde dem Versicherungsnehmer ein unrichtiges Bild der Rechtslage vermittelt. Die Klausel verstoße insgesamt gegen § 6 Abs. 3 KSchG und sei damit unzulässig.

Obliegenheitsverletzung

  • „Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt: [...]“

Die Vorinstanzen hatten erklärt, dass dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer mit dieser Formulierung suggeriert werde, dass Obliegenheitsverletzungen jedenfalls zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen würden.

Der OGH betont dazu, dass diese Klausel intransparent sei, weil bloß auf § 6 Abs. 3 VersVG verwiesen werde, ohne zu erwähnen, dass an anderer Stelle der Bedingungen die gesetzliche Bestimmung abgedruckt ist und warum der Versicherungsnehmer diese durchlesen sollte.

Zwar handle es sich im vorliegenden Fall um eine relativ kurze Vertragsgrundlage, die lediglich aus fünf Seiten bestehe; nichtsdestoweniger fehle der Hinweis auf den auf der letzten Seite abgedruckten Gesetzestext. Die Klausel sei daher intransparent nach § 6 Abs. 3 KSchG und unzulässig.

Schadenersatz

  • „Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben:
    [...]
    Schadenersatzansprüche gegen Dritte form- und fristgerecht sicherzustellen
    […]“

Aus der Klausel ergebe sich nicht, was als Sicherstellung von Schadenersatzansprüchen zu verstehen sei. Bei kundenfeindlichster Auslegung könnte man dies so verstehen, dass der Versicherungsnehmer auf eigene Kosten Klagen oder Beweissicherungsanträge einzubringen hätte, um die Kriterien zu erfüllen,

Der OGH teilt dabei die Ansicht des Berufungsgerichts, dass sich der Versicherungsnehmer kein eindeutiges Bild seiner vertraglichen Position machen könne, weil nicht klar sei, was er zu tun habe, um der Obliegenheitsverpflichtung gerecht zu werden.

Die Klausel sei sowohl intransparent im Sinne des § 6 Abs. 3 KSchG als auch gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Ab.3 ABGB; damit sei die Bestimmung unzulässig.

Arztbestätigung

  • „Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben
    [...]
    bei Erkrankung oder Unfall unverzüglich eine entsprechende Bestätigung des behandelnden Arztes (bei Reiseabbruch vom Arzt vor Ort) ausstellen zu lassen;“

Während § 34 Abs. 2 VersVG bestimme, dass der Versicherer Belege fordern könne, wenn dem Versicherungsnehmer deren Beschaffung billigerweise zugemutet werden kann, enthalte diese Klausel keine solche Einschränkung, so der OGH.

Die unverzügliche Einholung einer ärztlichen Bestätigung, die im Fall eines Reiseabbruchs noch dazu von einem Arzt vor Ort auszustellen sei, könne einen Versicherungsnehmer im Ausland vor erhebliche Mühen und Schwierigkeiten stellen und im Extremfall eine unüberwindbare Hürde darstellen.

Der Argumentation des Versicherers, dass der Hinweis auf die Zumutbarkeit nicht nötig sei, weil einem Versicherungsnehmer klar sei, dass nichts Unzumutbares von ihm verlangt werden kann, widerspricht der OGH.

Bei kundenfeindlichster Auslegung sei die Klausel so zu verstehen, dass die Obliegenheit ohne jede Einschränkung gilt. Sie verstoße damit gegen § 34a VersVG, wonach eine Vereinbarung, die von den Vorschriften des § 34 Abs. 2 VersVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht, unzulässig ist.

Ärztliche Atteste und Unfallberichte

  • „Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben
    [...]
    unverzüglich folgende Unterlagen an den Versicherer zu senden:
    - bei Erkrankung oder Unfall: Detailliertes ärztliches Attest/Unfallbericht (bei psychischen Erkrankungen durch Facharzt der Psychiatrie), Krankmeldung bei der Sozialversicherung und Bestätigung über verordnete Medikamente;“

Der Oberste Gerichtshof betont, dass sich die Belegobliegenheit des § 34 Abs. 2 VersVG nur auf Dokumente bezieht, über die der Versicherungsnehmer selbst verfügt oder die er von Dritten besorgen kann; damit sei klar, dass diese bereits existieren müssen.

Die Klausel bestimme, dass bestimmte Unterlagen unverzüglich an den Versicherer übermittelt werden müssen; aus ihr gehe nicht zweifelsfrei hervor, dass nur bereits vorhandene Unterlagen übermittelt werden müssen.

Bei kundenfeindlichster Auslegung würde dies bedeuten, dass der Versicherungsnehmer erst einen entsprechenden Arzt aufsuchen müsse, um von diesem ein detailliertes Attest oder einen Unfallbericht zu erhalten, den er dann dem Versicherer übermitteln könnte.

Darüber hinaus enthalte auch diese Klausel keine Einschränkung auf die Zumutbarkeit. Wie die vorangegangene Klausel verstoße sie damit gegen § 34a VersVG und ist daher unzulässig.

Untersuchung durch einen Arzt

  • „Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben
    […]
    sich auf Verlangen des Versicherers durch die vom Versicherer bezeichneten Ärzte untersuchen zu lassen.“

Eine derartige Klausel sei bei einer Reisestorno- und Reiseabbruchversicherung anders als bei Kranken- und Unfallversicherungen nicht üblich, so der OGH. Da auf sie auch nicht besonders hingewiesen werde, brauche ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nicht mit ihr zu rechnen.

Bei kundenfeindlichster Auslegung könnte der Versicherer außerdem unabhängig von einem begründeten Missbrauchsverdacht oder sonstiger berechtigter Gründe eine Untersuchung durch von ihm ausgewählte Ärzte vornehmen lassen.

Zweifellos sei die Regelung für den Versicherungsnehmer auch nachteilig, da er ohne diese Klausel besser dastünde, so der OGH. Die Klausel ist nach § 864a ABGB unzulässig.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 7Ob3/23a vom 19. April 2023 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Gesundheitsreform · Reiseversicherung · Sozialversicherung
 
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