WERBUNG

OGH: Haftet ein Arzt, wenn Patientin Aufklärung nicht versteht?

5.9.2025 – Dass bei der Operation ein Nerv geschädigt werden könnte, hatte der Zahnarzt der Patientin erklärt, sie hat das allerdings nicht verstanden. Weil ihre geringfügige Intelligenzminderung für ihn nicht erkennbar war, sei dem Arzt der Entlastungsbeweis gelungen, erklärt der Oberste Gerichtshof. Die Schadenersatzforderung wurde abgewiesen.

Symbolfoto (Bild: Zialdentacare auf Pixabay)
Symbolfoto (Bild: Zialdentacare auf Pixabay)

Ein Zahnarzt hatte einer zum damaligen Zeitpunkt 19 ½ Jahre alten Patientin empfohlen, alle vier Weisheitszähne entfernen zu lassen, was anschließend auch in zwei Sitzungen erfolgte.

Als typische Komplikation einer operativen Weisheitszahnentfernung verblieb bei der Patientin vorerst eine Funktionsstörung eines linksseitigen Gesichtsnervs.

In einer Klage fordert sie vom Zahnarzt und dessen Haftpflichtversicherer Schadenersatz in Höhe von mehr als 64.000 Euro. Ursprünglich hatte sich die Klage auf eine Fehlbehandlung bezogen, in der Revision vor dem Obersten Gerichtshof ging es nur noch um eine fehlende Einwilligung in die Behandlung.

OGH zu den Pflichten eines Arztes

Ein Arzt hafte als Sachverständiger im Sinne des § 1299 ABGB für die Kenntnisse und den Fleiß, den seine Fachgenossen gewöhnlich haben, so der OGH. Er habe jene Sorgfalt anzuwenden, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird.

Zu seinen Pflichten zähle es, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen einer Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. Erfolge dies nicht, so sei die Behandlung „grundsätzlich rechtswidrig“ und der Arzt hafte für nachteilige Folgen.

Ein ärztlicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Patienten sei nur insoweit nicht rechtswidrig, als die Einwilligung des Patienten reicht. Dieser müsse dazu das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite des Eingriffs und seine möglichen Folgen in den Grundzügen erkennen.

Maßgeblich dafür sei aber der erklärte Wille des Patienten, nicht sein innerer Wille, betont der OGH.

Aufklärung dokumentiert

Grundvoraussetzung für eine schadenersatzrechtliche Haftung eines Arztes für Schäden eines Patienten sei immer auch das Verschulden des Schädigers im Sinne einer subjektiven Vorwerfbarkeit seines Verhaltens.

Im vorliegenden Fall sei der Arzt mit der Patientin einen Aufklärungsbogen mündlich durchgegangen und habe in seiner Behandlungsdokumentation auch die Aufklärung dokumentiert.

Bezüglich der Weisheitszähne hat der Arzt die Patientin auch auf eine mögliche persistierende Nervverletzung hingewiesen und ihr wegen der im Röntgen ersichtlichen Nähe der unteren Weisheitszähne zum später beeinträchtigten Nerv zu einer zusätzlichen Untersuchung geraten.

Die Frage des Arztes, ob sie alles verstanden habe, bejahte die Patientin. Sie ließ in der Folge die vom Arzt zusätzlich empfohlene Untersuchung auf eigene Kosten durchführen und vereinbarte die Behandlungstermine.

Patientin hat nicht alles verstanden

Bei der Patientin liegt eine leichte Intelligenzminderung vor. Aufgrund ihrer kognitiven Defizite konnte sie den Aufklärungsbogen nur in geringen Teilbereichen verstehen, ihre Geschäftsfähigkeit war in Bezug auf Zustimmung zum Verstehen eines Aufklärungsbogens großteils aufgehoben.

Für den Arzt seien die tatsächliche Einschränkung der Patientin und ihre allenfalls mangelnde Geschäfts- und Entscheidungsfähigkeit allerdings nicht erkennbar gewesen. Es zähle nicht zum Fachgebiet eines Zahnarztes, eine derartige, leichtgradige Intelligenzminderung zu erkennen.

Die Patientin habe ein völlig unauffälliges Erscheinungsbild, man sehe ihr keine kongnitive Einschränkung an. Auch auf die Mitarbeiter des Arztes habe sie beim selbständigen Ausfüllen des Anamnesebogens und bei kurzen Gesprächen bei der Aufnahme keine Auffälligkeiten gezeigt.

Die Erkennbarkeit ihrer Einschränkung sei „bestenfalls einem Spezialisten, daher einem Psychiater oder Psychologen, zuzutrauen“, so der OGH in seiner rechtlichen Beurteilung.

Entlastungsbeweis gelungen

Das Berufungsgericht hatte erklärt, der Arzt habe im vorliegenden Fall objektiv und ex ante betrachtet keine Veranlassung gehabt, eine weitere Vertrauensperson, einen Angehörigen oder eine sonst nahestehende Person seiner Patientin zum Aufklärungsgespräch beizuziehen.

Dass er die volljährige Klägerin für entscheidungsfähig erachtet und ihre kognitive Einschränkung nicht erkannt habe, könne ihm nicht als Verschulden zur Last gelegt werden. Diese Auffassung des Berufungsgerichts halte sich im Rahmen der Rechtslage, so der OGH.

Bei einem kunstgerecht durchgeführten medizinischen Eingriff hafte ein Arzt für die dadurch entstandenen Schäden nur dann, wenn er nicht nachweisen kann, dass ihn an der unterlassenen oder nicht hinreichenden Aufklärung kein Verschulden trifft.

Hier sei dem Zahnarzt der ihm obliegende Entlastungsbeweis nach § 1298 ABGB gelungen, weil die Einschränkung der Entscheidungsfähigkeit der Klägerin für einen durchschnittlichen Zahnarzt wie ihn nicht erkennbar gewesen ist. Die Revision wurde mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 8Ob65/25d vom 12. August 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Mitarbeiter
 
WERBUNG
WERBUNG
Ihr Wissen und Ihre Meinung sind gefragt

Ihre Leserbriefe können für andere Leser eine wesentliche Ergänzung zu unserer Berichterstattung sein. Bitte schreiben Sie Ihre Kommentare unter den Artikel in das dafür vorgesehene Eingabefeld.

Die Redaktion freut sich auch über Hintergrund- und Insiderinformationen, wenn sie nicht zur Veröffentlichung unter dem Namen des Informanten bestimmt ist. Wir sichern unseren Lesern absolute Vertraulichkeit zu! Schreiben Sie bitte an redaktion@versicherungsjournal.at.

Allgemeine Pressemitteilungen erbitten wir an meldungen@versicherungsjournal.at.

Täglich bestens informiert!

Der VersicherungsJournal Newsletter informiert Sie von montags - freitags über alle wichtigen Themen der Branche.

Ihre Vorteile

  • Alle Artikel stammen aus unserer unabhängigen Redaktion
  • Die neuesten Stellenangebote
  • Interessante Leserbriefe

Jetzt kostenlos anmelden!

VersicherungsJournal in Social Media

Besuchen Sie das VersicherungsJournal auch in den sozialen Medien:

  • Facebook – Ausgewähltes für den Vertrieb
  • Twitter – alle Nachrichten von VersicherungsJournal.at
  • Xing News – Ausgewähltes zu Karriere und Unternehmen
Diese Artikel könnten Sie noch interessieren
2.9.2025 – Oft verhindert die Konzentration auf „Schwächen“ von Mitarbeitern, dass ihre Stärken zur Geltung kommen können. – Von Barbara Liebermeister. (Bild: Liebermeister) mehr ...
 
21.8.2025 – Mit dem Berufsdetektiv Alexander Datzer sprach das VersicherungsJournal über die Aufdeckung von Betrug, die Rolle der Digitalisierung und die Frage, wie Versicherer, aber auch Kriminelle künstliche Intelligenz zu ihrem jeweiligen Vorteil einsetzen. (Bild: ERA.wien) mehr ...