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OGH vermutet Verfassungswidrigkeit im VersVG

18.11.2025 – Nach einer qualifizierten Deckungsablehnung muss ein Versicherungsnehmer nach § 12 Absatz 3 VersVG innerhalb eines Jahres Klage einreichen, andernfalls ist der Versicherer leistungsfrei. Der Oberste Gerichtshof hält diese Bestimmung für verfassungswidrig, da sie Versicherer gegenüber anderen Schuldnern und auch gegenüber ihrem eigenen Versicherungsnehmer privilegiert und ihr Zweck auch anders erfüllt werden kann. Er hat deshalb an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, die Bestimmung zur Gänze aufzuheben.

Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

Nach einem Brand in einem Wohnhaus am 23. Dezember 2021 fordert ein Versicherungsnehmer von seinem Brandschadenversicherer insgesamt knapp 334.000 Euro.

Der vom Versicherer beauftragte Sachverständige kam zum Schluss, dass Russablagerungen im Rauchfang Ursache für den Brand gewesen seien. Dafür seien Versäumnisse des Rauchfangkehrers ebenso wie des Hausbesitzers verantwortlich.

Der Versicherer lehnte daraufhin die Deckung mit einer E-Mail vom 6. Juli 2022 ab und verwies in dieser auf die Rechtsfolgen des § 12 Absatz 3 VersVG.

Rechtslage

Laut der aktuellen Fassung des § 12 VersVG Absatz 1 verjähren Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in drei Jahren, wobei die Verjährung erst zu laufen beginnt, wenn ein Anspruchsberechtigter von seinem Recht auf die Leistung des Versicherers erfahren hat.

Absatz 2 VersVG bestimmt, dass die Verjährung eines Anspruchs, der beim Versicherer angemeldet wurde, so lange gehemmt wird, bis der Versicherer seine Ablehnung dem Versicherungsnehmer schriftlich mitgeteilt hat; diese Ablehnung muss darüber hinaus begründet werden.

Hat ein Versicherer seine Leistung dem Absatz 2 VersVG entsprechend und mit der Angabe der mit dem Ablauf der Frist verbundenen Rechtsfolgen abgelehnt, muss der Anspruch nach § 12 Absatz 3 VersVG innerhalb eines Jahres gerichtlich geltend gemacht werden; andernfalls ist der Versicherer leistungsfrei.

Vorinstanzen wiesen Klage ab

Der Hausbesitzer brachte am 19. Dezember 2024 Klage gegen den Versicherer ein. Erst- und Berufungsgericht wiesen diese ab und begründeten dies mit dem Verlust des Rechts („Präklusion“) des Versicherungsnehmers wegen Ablaufs der Frist des 
§ 12 Absatz 3 VersVG.

Das Berufungsgericht erklärte zudem, dass die Deckungsablehnung vom 6. Juli 2022 den Anforderungen des § 12 Absatz 3 VersVG genügt habe und es nicht darauf ankomme, ob die Deckungsablehnung sachlich gerechtfertigt und die Begründung richtig ist.

Der Versicherungsnehmer wandte sich daraufhin in einer außerordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof. Er argumentiert, die Deckungsablehnung habe nicht den Anforderungen des § 12 VersVG entsprochen und es stelle sich die Frage, ob die Bestimmung nicht gänzlich zu entfallen habe.

Bestimmung präjudiziell für weiteres Verfahren

In seiner rechtlichen Beurteilung erklärt der OGH, dass es sich bei der in § 12 Absatz 3 genannten Frost um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt; der Versicherer werde von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Anspruch auf diese nicht innerhalb eines Jahres geltend gemacht wird.

Die Frist werde durch eine endgültige und qualifizierte Ablehnung ohne Rücksicht auf ihre Richtigkeit in Lauf gesetzt. Nach Ablauf der Frist gehe der Versicherungsschutz unter, auch wenn die Geltendmachung des Rechts während der Laufzeit der Frist unverschuldet unterblieben ist.

Zwar müsse das Schreiben des Versicherers eine Begründung dafür enthalten, was für die Ablehnung maßgeblich war, diese Begründung müsse aber nicht richtig sein. Es stehe dem Versicherer frei, weitere Gründe erst im Deckungsprozess nachzutragen.

Die Bestimmung des § 12 Absatz 3 VersVG sei damit präjudiziell (maßgebend für künftige Rechtsfälle bzw. Beschlüsse, Anm.), weil es von ihrer Anwendung abhängt, ob die im Revisionsverfahren zu behandelnden Ansprüche des Klägers verloren gegangen sind, so der OGH.

OGH zum Gleichheitssatz

Der im Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger und der Verfassung verankerte Gleichheitssatz binde auch den Gesetzgeber. Es sei ihm verboten, sachlich nicht begründete Regelungen zu treffen und sachlich nicht begründbare Differenzierungen vorzunehmen.

Innerhalb dieser Schranken könne der Gesetzgeber aber seine politischen Zielvorstellungen verfolgen. Er dürfe bei der Normsetzung generalisierend von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen, auf den Regelfall abstellen und auch Härtefälle in Kauf nehmen.

Mehrfach habe sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits mit der sachlichen Rechtfertigung von Fristen unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes beschäftigt.

Der VfGH habe erklärt, dass Fristen im Rahmen von Rechtsverhältnissen zwischen Privaten die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nicht übermäßig erschweren dürfen. Dies gelte auch für die gesetzliche Regelung von Präklusivfristen für die Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche.

Bedenken des OGH

Im hier zu beurteilenden Fall bewirke § 12 Absatz 3 VersVG eine gesetzlich unterschiedliche Behandlung von Versicherern und anderen Schuldnern, gegenüber denen Ansprüche regelmäßig bis zur Verjährung durchgesetzt werden können, betont der OGH.

Er habe Bedenken, ob diese Differenzierung zwischen einem Versicherer und anderen Schuldnern unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes eine sachliche Rechtfertigung findet.

Die „weit überwiegende“ Lehre übe rechtspolitische Kritik an dieser einseitigen Privilegierung des Versicherers und auch in Deutschland sei nach ähnlich kritischen Stimmen eine vergleichbare Bestimmung ersatzlos gestrichen worden.

Sonderregelung für Versicherer

Mit dem § 12 Absatz 3 behandle der Gesetzgeber Versicherer und andere Rechtsträger, die eine zivilrechtliche Schuld trifft, unterschiedlich. Keinem anderen Schuldner werde die hier normierte Präklusionswirkung, noch dazu mit der Sanktion des völligen Anspruchsverlusts, zugebilligt.

Auch wenn die einjährige Frist in der Regel für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs auf Leistung ausreichend sei, erschwere sie dem Anspruchsberechtigten die Geltendmachung seiner Ansprüche und die verlässliche Beurteilung ihrer Berechtigung.

Darüber hinaus erhalte der Versicherer damit eine umfassende Befugnis, über die Ausschlussfrist zu disponieren. Ihm allein sei es überlassen, ob und wann er diese Ausschlussfrist mit einer qualifizierten Deckungsablehnung in Gang setzt.

Damit könne der Versicherer noch innerhalb der laufenden Verjährungsfrist seinen Vertragspartner durch eine einseitige Maßnahme binnen einer vergleichsweise kurzen Frist zur Entscheidung über Klageerhebung oder Verzicht zwingen. Wann er diese Maßnahme setzt, stehe in seinem Belieben.

Gegen Versicherungsnehmer privilegiert

Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag würden grundsätzlich einer dreijährigen Verjährungsfrist unterliegen, betont der OGH. Das gelte sowohl für Ansprüche des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer als auch für solche des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer.

Die Ausschlussfrist des § 12 Absatz 3 VersVG bestehe allerdings nur für den Anspruch auf Leistung gegenüber dem Versicherer, der damit nicht nur gegenüber anderen Schuldnern, sondern auch gegenüber seinem eigenen Vertragspartner privilegiert ist.

§ 12 Absatz 3 VersVG stelle damit eine erhebliche Privilegierung des Versicherers gegenüber anderen Schuldnern und auch im Vergleich zum Versicherungsnehmer dar, der darüber hinaus die „typischerweise schwächere Vertragspartei“ sei.

OGH zum Zweck der Ausschlussfrist

Zweck dieser Ausschlussfrist sei eine rasche und zuverlässige Tatsachenfeststellung. Diese liege primär im Interesse des Versicherers, weil durch jede Verzögerung in der Erledigung zweifelhafter Ansprüche die zuverlässige Feststellung der maßgeblichen Tatsachen erschwert wird.

Ob dies allerdings eine Sonderregelung erfordert, sei fraglich. Denn dem Interesse des Versicherers an einer möglichst raschen und zuverlässigen Aufklärung der Tatsachen werde grundsätzlich bereits durch weitreichende Informationsobliegenheiten des Versicherungsnehmers Rechnung getragen.

Zwar könne jede Verzögerung in der Erledigung zweifelhafter Ansprüche die Übersicht über den wahren Stand des Vermögens des Versicherers beeinträchtigen, es sei aber zu hinterfragen, ob dies als sachliche Rechtfertigung einer unterschiedlichen gesetzlichen Behandlung gelten könne.

Denn auch Unternehmen aus anderen Branchen müssten im Fall strittiger Verbindlichkeiten mit einer ungewissen Vermögenssituation kalkulieren, außerdem bestehe die Möglichkeit, bilanzielle Rückstellungen für mögliche Verpflichtungen zu bilden.

Gesetzesprüfungsverfahren

Die Bedenken des OGH würden sich vor allem gegen die Verfassungskonformität des ersten Satzes des § 12 Absatz 3 VersVG richten, der eine Leistungsfreiheit des Versicherers bei nicht rechtzeitiger Geltendmachung des Anspruchs auf die Leistung statuiert.

Da aber alle weiteren Bestimmungen in § 12 Absatz 3 VersVG mit diesem ersten Satz zusammenhängen, stellt der OGH an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 12 Absatz 3 VersVG zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

Das Verfahren über die außerordentliche Revision des Versicherungsnehmers wird bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 7Ob110/25i vom 22. Oktober 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

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