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OGH: Wann Regressforderung eines Versicherers verjährt

6.5.2024 – Die Regressforderung eines Versicherers, der Geschädigten nach einem Verkehrsunfall Leistungen erbracht hat, ist kein Schadenersatzanspruch, so der OGH. Als selbständiger Anspruch verjährt sie erst nach 30 Jahren, weil zwischen den Beteiligten eines Unfalls kein besonderes Vertragsverhältnis besteht.

Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

Bei einem Verkehrsunfall zwischen einem österreichischen Lkw und einem deutschen Kleinbus in Tirol im Jahr 2015 wurden drei Fahrgäste des Kleinbusses verletzt. Wie inzwischen feststeht, war der Lenker des Kleinbusses allein schuld an dem Unfall.

Der Haftpflichtversicherer des Lkw hat allerdings in den Jahren 2016 und 2017 Zahlungen in Höhe von mehr als 24.000 Euro an Schmerzensgeld und Heilungskosten für die Geschädigten, für anwaltliche Vertretungskosten und ein Sachverständigengutachten geleistet.

In einem ersten Vorprozess forderte die Leasinggeberin des Kleinbusses vom Halter des Lkw und dessen Haftpflichtversicherer den Ersatz des unfallkausalen Sachschadens. Die Klage wurde (inzwischen rechtskräftig) wegen des Alleinverschuldens des Kleinbuslenkers abgewiesen.

In einem weiteren Vorprozess forderte der Haftpflichtversicherer des Lkw von der Leasinggeberin des Kleinbusses den Ersatz seiner Zahlungen; dies wurde – ebenfalls bereits rechtskräftig – abgewiesen, da die Leasinggeberin nicht Halterin des Kleinbusses war.

Haftpflichtversicherer klagt Halterin des Kleinbusses

Im August 2022 reichte der Lkw-Haftpflichtversicherer schließlich Klage gegen die Halterin des Kleinbusses mit der Begründung ein, er habe noch vor Klärung der Haftungsfrage gemäß § 8 Absatz 1 EKHG Zahlungen an die geschädigten Fahrgäste geleistet.

Die Ansprüche seien nach § 67 Absatz1 VersVG auf ihn übergegangen, so der Versicherer. Nach § 11 EKHG habe er einen Rückgriffsanspruch gegen den Halter des Kleinbusses, da dessen Lenker das Alleinverschulden am Unfall trifft. Dieser Anspruch unterliege der 30-jährigen Verjährungsfrist.

Die beklagte Kleinbushalterin hält dem entgegen, dass das zwischen den Mitschuldnern bestehende Rechtsverhältnis Schadenersatzcharakter habe. Die Ansprüche würden einer dreijährigen Verjährungsfrist unterliegen, die mit dem Entstehen des Rückgriffsanspruchs durch die Zahlung beginne.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage wegen Verjährung ab. Die Revision beim Obersten Gerichtshof wurde vom Berufungsgericht zur Frage der Verjährung von Regressansprüchen nach § 11 EKHG zugelassen.

Solidarische Haftung und Rückgriffsanspruch

In seiner rechtlichen Beurteilung erklärt der OGH, dass ein Geschädigter nach § 8 Absatz 1 EKHG seine Ersatzansprüche gegen jeden an dem Unfall Beteiligten richten kann, wenn der Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht wurde.

In diesem Fall haften mehrere Beteiligte zur ungeteilten Hand, wobei als Beteiligter jeder anzusehen sei, der aus dem Unfall ersatzpflichtig werden kann.

Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung sei, dass der Geschädigte nicht selbst einer der haftpflichtigen Beteiligten ist. Ein verletzter Fahrgast in einem der unfallbeteiligten Fahrzeuge könne daher seine Ansprüche in vollem Umfang gegen jeden der beiden Schädiger geltend machen.

Ersetze einer der solidarisch haftenden Beteiligten oder sein Haftpflichtversicherer dem geschädigten Dritten den Schaden, so habe er gemäß § 11 Absatz 1 EKHG einen Rückgriffsanspruch an die anderen Beteiligten, dessen Höhe abhängig vom Verschulden ist.

Kein Schadenersatzanspruch

In einer früheren Entscheidung habe der OGH erklärt, dass der Anspruch eines Mitschuldners gegen den anderen auf Ausgleich der von ihm bezahlten Ansprüche Dritter seiner Natur nach kein Schadenersatzanspruch im Sinne des § 1489 ABGB sei.

Der Anspruch entstehe nämlich nicht schon durch die widerrechtliche Zufügung eines Schadens, sondern erst durch die Leistung von Ersatz eines Betrages, der über dem Anteil liegt, den der Zahlende im Innenverhältnis hätte tragen müssen

Der Rückgriffsanspruch des § 11 Absatz 1 EKHG sei daher kein Schadenersatzanspruch, sondern ein selbständiger Anspruch, der vom Ersatzanspruch des Geschädigten verschieden sei.

Besonderes Verhältnis zwischen Mitschuldnern?

Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei der Rückgriffsanspruch des § 11 Absatz 1 EKHG eine lex specialis gegenüber § 896 ABGB; hinsichtlich ihrer Rechtsnatur würden § 896 ABGB und § 11 Absatz 1 EKHG übereinstimmen.

Nach herrschender Rechtsprechung sei der Regressanspruch nach § 896 ABGB ein selbständiger Anspruch, dessen Art und Umfang sich nach dem „besonderen Verhältnis“ zwischen den Mitschuldnern richtet.

Fehle ein besonderes Verhältnis, so unterliege der Erstattungsanspruch der allgemeinen 30-jährigen Verjährungsfrist.

30-jährige Verjährungsfrist gilt

Diese verjährungsrechtlichen Grundsätze des § 896 ABGB seien auch auf den Rückgriffsanspruch nach § 11 Absatz 1 EKHG anzuwenden, so der OGH.

Im vorliegenden Fall bestehe kein besonderes Verhältnis zwischen den Solidarschuldnern. Die gemeinsame Beteiligung an einem Verkehrsunfall und die daraus resultierende Solidarhaftung nach § 8 EKHG genüge nicht zur Annahme eines besonderen Verhältnisses, das eine kürzere Verjährungsdauer rechtfertigen würde.

Da kein besonderes Verhältnis zwischen den Mitschuldnern, die als Beteiligte an einem Unfall nicht vertraglich verbunden sind, besteht, unterliege der auf § 11 Absatz 1 EKHG beruhende Anspruch des Versicherers damit der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 1478 ABGB.

Da die Ansprüche zweier Geschädigter nicht die für die Zulässigkeit einer Revision maßgebliche Wertgrenze überschritten, wurde die Revision in diesem Umfang vom OGH zurückgewiesen; der Kleinbushalter muss dem Versicherer knapp mehr als 22.000 Euro zuzüglich Verfahrenskosten ersetzen.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 2Ob221/23y vom 21. März 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

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