10.9.2024 – Indem eine Fahrzeuglenkerin den von ihr verursachten Sachschaden nicht unverzüglich bei der nächsten Polizeidienststelle meldete, hat sie gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Für eine Obliegenheitsverletzung wäre es allerdings Voraussetzung, dass sie damit ein Beweismittel vernichtet hätte, das dem Versicherer einen Regress ermöglicht hätte. Da der Versicherer aber keinen Verdacht bezüglich Alkoholisierung oder Übermüdung geäußert hat, habe sie keine Obliegenheitsverletzung begangen, resümiert die Schlichtungsstelle der Versicherungsmakler.
Am 6. Jänner 2024 gegen 20.30 Uhr fuhr eine Fahrzeugbesitzerin mit rund 50 Stundenkilometern von einer Messe heim. Aufgrund glatter Straßenverhältnisse kam sie ins Rutschen und von der Fahrbahn ab. Sie kollidierte mit einer Überholverbotstafel und einem Straßenleitpflock.
Das Fahrzeug wurde beschädigt. Wegen der rutschigen Fahrbahnverhältnisse und der nachfolgenden Fahrzeuge hielt sie es aber nach eigener Aussage für zu gefährlich, auszusteigen. Sie fuhr direkt nach Hause.
Allerdings wurde sie bei diesem Vorfall beobachtet, was der Polizei 15 Minuten später gemeldet wurde. Zwei Tage später trafen zwei Polizisten die Fahrzeugbesitzerin zu Hause an, sprachen sie auf den Unfall an und erstatteten Anzeige wegen Fahrerflucht.
Ebenfalls am 8. Jänner, einem Montag, übersandte sie ihrem Kaskoversicherer eine Schadensmeldung. In einem ergänzenden Fragebogen erklärte sie, in den acht Stunden vor Fahrtantritt keinen Alkohol getrunken und am Unfalltag bis acht Uhr morgens, insgesamt rund neun Stunden lang, geschlafen zu haben.
Der Versicherer ließ das Fahrzeug besichtigen, die Wiederherstellungskosten wurden auf mehr als 7.200 Euro veranschlagt. Mit Schreiben vom 25. Jänner lehnte der Versicherer anschließend die Deckung ab.
Er argumentiert, dass bei der Kollision mit einem Verkehrsschild und einem Straßenleitpflock nach den ihm vorliegenden Unterlagen „nachweislich ein Sachschaden“ entstanden sei, der der Behörde entgegen den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung nicht unverzüglich angezeigt wurde.
Da diese Vorschrift als Obliegenheit in Artikel 5 Punkt 2.1.1 der Versicherungsbedingungen festgehalten sei, habe die Versicherungsnehmerin eine Obliegenheitsverletzung begangen, weshalb keine Leistung erbracht werden könne.
Die Fahrzeugbesitzerin hatte eine Kfz-Haftpflicht- und -Kaskoversicherung abgeschlossen, für die Kaskoversicherung waren dabei die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Kaskoversicherung (AKKB 2016) vereinbart.
Nach Artikel 5 Punkt 2.1.1 war der Versicherungsnehmer verpflichtet, „nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen“; eine Verletzung dieser Obliegenheit sollte zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen.
Eine weitere Obliegenheit definiert Artikel 5 Punkt 2.1.4., wonach der Versicherungsnehmer durch das Fahrzeug verursachte Schäden in bestimmten Fällen unverzüglich bei der nächsten Polizeidienststelle anzuzeigen hat.
Die Versicherungsnehmerin wandte sich daraufhin über ihren Makler mit einem Schlichtungsantrag an die Rechtsservice- und Schlichtungsstelle des Fachverbandes der Versicherungsmakler und Berater in Versicherungssachen (RSS).
Sie argumentiert, dass sie dem Versicherer den Sachverhalt vollständig mitgeteilt habe und nach Artikel 5 Punkt 2.1.4. eine polizeiliche Meldung nur bei Parkschäden und Wildunfällen, nicht aber bei anderen Unfällen vorgeschrieben sei. Es liege keine Obliegenheitsverletzung vor.
In ihrer Empfehlung betont die RSS einleitend, dass sich die Auslegung von Versicherungsbedingungen im Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren habe und der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen sei.
Artikel 5 Punkt 2.1.4 sehe eine Obliegenheit der polizeilichen Schadensmeldung nur in bestimmten Fälle vor; dies hebe aber nicht die Bestimmung des Punktes 2.1.1 auf, beide Obliegenheiten würden gleichwertig nebeneinander stehen.
Im vorliegenden Fall werde der Versicherungsnehmerin keine Obliegenheitsverletzung nach Punkt 2.1.4 vorgeworfen. Zur Aufklärungsobliegenheit, wie sie hier in Punkt 2.1.1 vorgesehen ist, gebe es eine ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung.
Demnach werde diese Pflicht verletzt, wenn ein Versicherungsnehmer einen von ihm verursachten Verkehrsunfall nicht der nächsten Polizeidienststelle meldet, obwohl er nach § 4 StVO zur sofortigen Anzeigeerstattung verpflichtet ist.
Allerdings führe eine Übertretung des § 4 Absatz 5 StVO allein noch nicht zu einer Verletzung der Obliegenheitspflicht. Durch die Unterlassung der Anzeige müsse auch ein Beweismittel beseitigt werden, weshalb ein konkreter Verdacht in eine bestimmte Richtung im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
Eine Unfallmeldung dürfe nur unterlassen werden, wenn ausschließlich der unfallverursachende Lenker, der auch Versicherungsnehmer sein muss, verletzt oder sein eigenes Fahrzeug beschädigt wurde; auf die Höhe des Schadens komme es nicht an, so die RSS.
Die Aufklärungsobliegenheit solle nicht nur Feststellungen über den Unfallablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des entstandenen Schadens , sondern auch die Klärung von Umständen ermöglichen, die für eventuelle Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können.
Zu letzteren zähle auch die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des am Unfall beteiligten Versicherungsnehmers hinsichtlich Alkoholisierung oder Übermüdung; ein solcher Verdacht sei aber vom Versicherer nicht geäußert worden, so die RSS.
Zwar habe die Versicherungsnehmerin im vorliegenden Fall ihre öffentlich-rechtliche Anzeigepflicht des § 4 StVO missachtet; dies allein schaffe aber keine Verdachtslage für eine Alkoholisierung; es sei daher nicht von einer Obliegenheitsverletzung des Artikels 5 Punkt 2.1.1 auszugehen.
Dem Versicherer wurde daher für den Schadenfall die Zahlung von 7.207,19 Euro aus der Kfz-Kaskoversicherung empfohlen.
Die Empfehlung der RSS kann als PDF-Dokument (162 KB) von der Website des Fachverbandes heruntergeladen werden.
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