6.9.2024 – Ein Behindertenbetreuer hatte in den letzten 15 Jahren in einem Wohnheim unter anderem Kriseninterventionen und Beratungen durchgeführt, den Gesundheitszustand von Betroffenen dokumentiert, sie bei Behörden unterstützt und Medikamente ausgegeben. Der Oberste Gerichtshof entschied: Eine Tätigkeit im Back Office in der Personalentwicklung sei gleichwertig, ein Verweis daher möglich. Die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension wurde abgelehnt.
Ein bisher als Behindertenbetreuer Arbeitender kann diese Tätigkeit nicht mehr ausüben. Er beantragte deshalb von der Pensionsversicherungsanstalt die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension, was mit Bescheid vom 27.4.2023 abgelehnt wurde.
Der Antragsteller hat ein Teilstudium der Pädagogik absolviert und war in den 15 Jahren vor dem Stichtag am 1.2.2023 über 159 Monate in einem Wohnheim für Behinderte angestellt. Seine Hauptaufgabe waren pädagogische Inhalte.
Er führte Kriseninterventionen und beratende Tätigkeiten durch, unterstützte Betroffene bei Ämtern und Behörden, dokumentierte deren Gesundheitszustand und war für die Vorbereitung sowie Ausgabe von Medikamenten zuständig.
Die Pensionsversicherungsanstalt lehnte die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension ab, da keine Berufsunfähigkeit bestehe. Der Antragsteller wäre in der Lage, unter Nutzung seiner Kenntnisse im Back-Office in der Personalentwicklung eines Unternehmens zu arbeiten.
Dabei wäre er hauptsächlich mit der Erstellung und Umsetzung von Schulungskonzepten und Ausbildungsmodellen beschäftigt; wozu unter anderem auch technisch-organisatorische Vorbereitungen, die Auswahl und Organisation von Trainern sowie fallweise Einzelcoachings zählen würden.
Das Erstgericht wies die Klage des früheren Behindertenbetreuers zurück, das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die genannte Verweistätigkeit sei mit dem Leistungskalkül des Antragstellers vereinbar, ihm möglich und zumutbar sowie mit seiner bisherigen Tätigkeit gleichwertig.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts legte der Kläger außerordentliche Revision beim Obersten Gerichtshof ein. Sinngemäß begründete er diese damit, dass zum Verweisungsfeld für den weit verbreiteten Beruf des Behindertenbetreuers höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Dies allein begründe allerdings keine Rechtsfrage von der geforderten Qualität, so der OGH in seiner rechtlichen Beurteilung. Die hier aufgeworfenen Rechtsfragen ließen sich nämlich unter Rückgriff auf die Grundsätze zum Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bei Angestellten lösen.
Berufsunfähigkeit nach § 273 ASVG liege bei Angestellten dann vor, wenn sie weder die zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübte Angestelltentätigkeit noch dieser Tätigkeit gleichwertige Tätigkeiten im Rahmen ihrer Berufsgruppe verrichten können.
Dieser zuletzt ausgeübte Beruf bestimme die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige, nicht aber gleiche oder gleichartige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen, betont der OGH.
Maßgeblich sei dabei, dass im Verweisungsberuf das erworbene, qualifizierte berufliche Wissen verwertet werden kann. Eine Verweisung auf eine Berufssparte mit völlig anders gearteten Anforderungen sei daher ausgeschlossen.
Im vorliegenden Fall stehe die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Kläger auf eine Tätigkeit im Back Office in der Personalentwicklung verwiesen werden darf und dass diese Tätigkeit gleichwertig mit der bisher ausgeübten Tätigkeit als Behindertenbetreuer sei, im Einklang mit diesen Leitlinien.
Er könne nämlich unter Nutzung seiner Kenntnisse aus dem Pädagogik-Studium und aus der Beratungstätigkeit als Behindertenbetreuer die näher beschriebene Tätigkeit im Bereich der Personalentwicklung ausüben.
Dem Argument des Revisionswerbers, seine bisherige Tätigkeit als Behindertenbetreuer sei mit der eines Krankenpflegers vergleichbar, weshalb er nach der Rechtsprechung nicht auf bloße Hilfsdienste oder administrative Aufgaben verwiesen werden dürfe, widerspricht der OGH.
Die vom Kläger durchgeführten pflegerischen Tätigkeiten hätten sich in der Dokumentation des Gesundheitszustandes der Heimbewohner sowie der Vorbereitung und Ausgabe von Medikamenten erschöpft, eine Berufung auf die Rechtsprechung zu diplomiertem Krankenpflegepersonal sei daher nicht möglich.
Auch die Argumentation des Klägers, dass er aufgrund der (sozial-)pädagogischen Komponente seiner bisherigen Tätigkeit als Behindertenbetreuer nicht auf eine administrative Tätigkeit ohne Kundenkontakt verwiesen werde dürfe, treffe nicht zu.
Auch ein Pädagoge könne auf eine administrative Tätigkeit verwiesen werden, wenn er dabei einen Kernbereich seiner Ausbildung und bisherigen Tätigkeit verwerten kann. Darüber hinaus widerspreche der Verweis auf fehlenden Kundenkontakt den Feststellungen zu gegebenenfalls durchzuführenden Einzelcoachings.
Da der Kläger in erster Instanz „nicht einmal andeutungsweise“ vorgebracht habe, dass die Arbeit in einem Back Office zu einer ins Gewicht fallenden Einbuße an sozialem Prestige führen würde, hätten die Vorinstanzen dazu auch keine Feststellungen treffen müssen, so der OGH.
Was die Gleichwertigkeit des Verweisungsberufes zu der ausgeübten Tätigkeit betrifft, hätten die Vorinstanzen Feststellungen zur Verwertbarkeit der Ausbildung und der erworbenen Kenntnisse getroffen.
Auch wenn diese „von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen“, liege kein rechtlicher Feststellungsmangel vor, betont der OGH. Die außerordentliche Revision wurde daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.
Die OGH-Entscheidung 10ObS57/24s vom 13. August 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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