14.3.2023 – Berater können ihren Markt selbst definieren, er ist ein „virtuelles Gebilde“, dessen Grenzen man beliebig bestimmen kann, schreibt der PR-Experte Bernhard Kuntz im folgenden Gastbeitrag. Dabei sollte man den eigenen Markt weder zu eng noch zu weit fassen – und möglichst mehrere der eigenen Kompetenzen kombinieren, um sich von anderen Anbietern abzuheben.
Mittwochnachmittag auf einem Unternehmerkongress. Der Autor berät Berater und ähnliche Selbstständige in Marketingfragen.
Ein Gespräch ist beendet, der nächste „Klient“ überreicht dem Autor seine Visitenkarte. Auf ihr steht: „Hans Roth – Erfolgssysteme“. Darunter: „Beratung – Training – Coaching“. (Anm.: Name des Beraters geändert.)
Unwillkürlich denkt der Autor: Schon wieder so ein „Pädagoge“, der hofft, wenn ich mit meinen Leistungen Unternehmen beglücke, verdiene ich mehr Geld.
Wenig überrascht ist er denn auch, als der Berater sagt, wo ihn der Schuh drückt: Seine Marketingaktivitäten haben null Resonanz.
Mit offenem Munde steht der Autor jedoch da, als sein Gegenüber ihm auf Nachfrage erzählt, was er tat, bevor er sich vor zwei Jahren für die Beraterexistenz entschied.
Der Mann hat ein Ingenieur- und ein BWL-Studium abgeschlossen. Er leitete zehn Jahre Mega-Projekte im Anlagenbau – im In- und Ausland. Kurz: Der Mann ist ein ausgebuffter Profi, der sofern er die richtigen Kunden ansprechen würde, diese sofort überzeugen könnte „Ich bin für Sie der richtige Mann“.
Doch nicht nur dies. Er könnte, wenn er ihnen die richtigen „Produkte“ anbieten würde, auch weit höhere Tagessätze erzielen als die 600 Euro, die er zurzeit als Referent bei IHK-Seminaren erhält.
Der Mann hat nur ein Problem: Er ist sich seiner Kompetenzen nicht bewusst. Also kann er auch seinen Markt nicht definieren und eine Strategie entwickeln, wie er sich diesen erschließen kann. Stattdessen versucht er im Blindflug sein Glück.
Ähnliche Erfahrungen sammelt man oft nicht nur im Umgang mit solchen Dienstleistern wie Beratern, Trainern und Coaches, die als Einzelkämpfer im Markt agieren, sondern auch großen Beratungshäusern. Die Verantwortlichen in ihnen haben weder die Stärken ihrer Organisation analysiert und definiert, noch daraus abgeleitet, was diese von ihren Mitbewerbern unterscheidet.
Folglich können sie auch keine Strategie entwickeln, um sich deren Markt mit System zu erschließen; außerdem keine (Etappen-)Ziele definieren, um zu kontrollieren, ob sich ihr Unternehmen auf dem richtigen Kurs befindet. Also können sie den Erfolg ihrer Unternehmen weder planen, noch steuern.
Eine Ursache, warum die Manager vieler Beratungsunternehmen hiermit Probleme haben, ist: Sie stehen beim Entwickeln ihrer Marktbearbeitungsstrategie vor teils anderen Herausforderungen als die Hersteller von Konsum- und Gebrauchsgütern:
Hieraus resultieren folgende Aufgaben für die Manager von Beratungsunternehmen. Sie müssen
Charakteristika der Ware „Bildung“ und „Beratung“ | Anforderungen an |
---|---|
Immateriell |
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Kunde ist am Prozess der Leistungserbringung beteiligt |
|
Produktion und „Verzehr“ der Leistung fallen zusammen |
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nicht lager- und transportfähig |
|
Doch wie können sich die Manager von Beratungsunternehmen einen Überblick über ihren Markt verschaffen?
Mit Hilfe von Studien? Nein, denn deren Ergebnisse spiegeln bestenfalls Teile der Marktoberfläche wider. Oder, indem sie auf Trends bauen, die von „weisen Sehern“ verkündet werden? Wer dies tut, ist verloren, denn diese Prognosen sind meist nur subjektive Markteinschätzungen oder sie spiegeln Moden wider.
Doch wie sonst können Bildungs- und Beratungsanbieter ihren Markt transparent gestalten? Ganz einfach, indem sie ihn selbst definieren. Denn der Bildungs- und Beratungsmarkt ist ein virtuelles Gebilde, dessen Grenzen man beliebig bestimmen kann. Diese Freiheit sollten die Anbieter nutzen.
Eine Sprachschule hat eine andere Klientel als ein Anbieter von IT-Trainings. Und ein Anbieter von Sprachreisen hat wiederum einen anderen Markt als ein Sprachinstitut, das Fremdsprachentrainings in Unternehmen durchführt. Das heißt, auch den Markt für Sprachunterricht gibt es nicht. Also kann eine Sprachschule ihren Markt auch wie folgt definieren: Unsere Zielgruppe sind alle Personen, die
Eine solche Marktdefinition hat folgende Vorteile: Sie macht den Markt überschaubar, und zwar in zweierlei Hinsicht:
Ein weiteres Beispiel. Im deutschsprachigen Raum gibt es eine schier endlose Zahl von Konflikttrainern, -beratern und -coaches. Was spricht dagegen, dass ein Berater, sofern er über eine passende Biografie verfügt, seinen Markt wie folgt definiert: „Meine Zielgruppe sind Dienstleistungsunternehmen mit vielen Außendienstmitarbeitern, bei denen oft Konflikte an der Schnittstelle Innen-Außendienst entstehen.“
Auch hier gilt: Der Markt ist klar umrissen, und aus der Definition lässt sich ableiten, welche Personen und Organisationen zur Zielgruppe des Beraters zählen (und welche nicht). Hinzu kommt: Der Berater hebt sich mit diesem Profil von der Masse seiner Mitbewerber ab. Das hilft ihm, seinen potenziellen Kunden darzulegen, warum sie sich für ihn und keinen Mitbewerber entscheiden sollten.
Das Kennzeichen solcher Marktdefinitionen ist: Ihre Basis ist eine Analyse der eigenen Kompetenzen und Ziele. Und erst wenn diese steht, fragt sich der Anbieter: In welchen Marktsegmenten könnte ich mein Können am besten entfalten und vermarkten?
Der Vorteil eines solchen Vorgehens ist: Der Markt wird überschaubar. Deshalb können der Bedarf der Kunden sowie die Stärken und Schwächen der verbliebenen Mitbewerber leichter ermittelt werden. Dies erleichtert die Produktentwicklung und den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen.
Hinzu kommt: Der Anbieter weiß, auf welche Personen- und Unternehmensgruppen er sein Marketing fokussieren sollte, weil er ihnen glaubhaft darlegen kann „Ich bin der Spezialist für ...“. Er weiß aber auch, welche Zielgruppen er nicht aktiv umwerben sollte, weil er bei ihnen nur ein Me-too-Anbieter ist.
Solche Marktdefinitionen sind das Ergebnis eines längeren Analyse- und Entscheidungsprozesses. Unter anderem, weil sich nicht aus jeder Kompetenz marktfähige Produkte ableiten lassen – zumindest, wenn man sie isoliert betrachtet. Was nutzt es einem Berater zum Beispiel, wenn er weiß, dass er im Projektmanagement spitze ist? 10.000 andere Berater behaupten dies auch.
Also muss diese Kompetenz mit mindestens einer weiteren kombiniert werden: zum Beispiel der Kenntnis des Baugewerbes. Oder der Erfahrung mit Projekten, bei denen es die divergierenden Interessen sehr vieler „Stakeholder“ zu berücksichtigen gilt. Oder … Erst dann wird daraus eine Stärke – also etwas, was den Berater vom Gros seiner Kollegen unterscheidet.
Das beachten viele Beratungsanbieter nicht. Sie können zwar die Kompetenzen (und Ressourcen) ihrer Unternehmen auflisten. Sie verknüpfen diese aber nicht so, dass hieraus Stärken werden und ein unverwechselbares Profil entsteht.
Sind diese Stärken ermittelt, dann ergibt sich der Markt des Unternehmens meist wie von selbst. Zumindest lässt er sich über eine Analyse der potenziellen Kundengruppen leicht erschließen.
Dabei sollten Berater jedoch beachten: Je schärfer sie ihren Markt definieren, umso geringer wird die Zahl der potenziellen Kunden.
Ein Beispiel. Wenn ein Beratungsunternehmen sich als „Der Spezialist für das Qualifizieren von Verkäufern“ versteht, könnte jedes Unternehmen sein Kunde sein. Geringer wird deren Zahl, wenn der Anbieter sich als „Der Spezialist für das Qualifizieren von Verkäufern technischer Güter“ begreift. Noch kleiner wird der Markt, wenn er sich als „Der Spezialist für das Qualifizieren von Verkäufern von Staubsaugern“ versteht; und noch kleiner, wenn er sich als „Der Spezialist für das Qualifizieren von Verkäufern von Staubsaugern im Direktvertrieb“ begreift.
So lässt sich der Markt eines Unternehmens beliebig vergrößern und verkleinern. Dabei gilt: Egal, wie schmal ein Anbieter seinen Markt definiert, fraglich ist eigentlich nie, ob er existiert. Fraglich ist nur, ob der Anbieter in ihm seine Ziele erreichen kann.
So dürfte es zum Beispiel schwierig sein, als „Spezialist für das Qualifizieren von Verkäufern von Staubsaugern im Direktvertrieb“ ein 100-Mann-Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 10 Millionen Euro/Jahr aufzubauen. Ein Zwei-, Drei-Mann-Unternehmen könnte in diesem Marktsegment jedoch durchaus ein gutes Auskommen haben.
Daraus folgt: Die Anbieter müssen ihren Markt so definieren, dass sie in ihm ihre Stärken entfalten und ihre Ziele erreichen können.
Fast alle Beratungsanbieter definieren ihren Markt zu breit. Die Ursache hierfür: Sie befürchten, dass sie, wenn sie ihr Geschäftsfeld schmaler definieren, zu wenig Kunden finden.
Oder umgekehrt formuliert. Sie hoffen: Je weiter wir unsere Zielgruppe definieren, umso leichter gewinnen wir Kunden. Also präsentieren sie sich zum Beispiel als „Der Changemanagement-Spezialist“ im Markt. Und als ihre Zielgruppe definieren sie „Unternehmen, die in Veränderungsprozessen stecken“.
Doch, welches Unternehmen steckt nicht in einem Veränderungsprozess? (Und sei es nur, dass es seine Kantine streicht.) Solche Markt- und Zielgruppendefinitionen signalisieren Unsicherheit. Sie sind Ausdruck des Versuchs, im Markt ein möglichst großes Netz aufzuspannen, in der Hoffnung, dass darin viele Fische (sprich: Kunden) hängen bleiben.
Dahinter steckt die Angst: Wenn ich nur ein kleines Netz benutze, fange ich zu wenig Fische. Und schon gar nicht erlege ich solche Riesenfische wie Thunfische.
Diese Angst mögen große Unternehmensberatungen hegen. Bei allen anderen Anbietern ist sie irrational. Denn selbst, wenn niemand das Volumen des Beratungsmarktes kennt, so steht doch fest: Es ist gigantisch, und in Relation hierzu sind alle Anbieter kleine Fische. Selbst die ganz großen „Player“ in ihm haben maximal einen Marktanteil von einem Prozent.
Entsprechend groß ist das Auftragsvolumen, das jeder Anbieter noch erobern kann – sofern er seine Leistung professionell vermarktet.
Bernhard Kuntz
Der Autor ist Inhaber der Marketing- und PR-Agentur Die Profilberater in Darmstadt. Er ist weiters Autor von Bildungs- und Beratungsmarketing-Fachbüchern.
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