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Gericht kippt Klausel in Restschuldarbeitsunfähigkeitsversicherung

12.4.2024 – Die Bedingungen sahen vor: Während der Arbeitsunfähigkeit bezahlt der Versicherer alle gegenüber dem Versicherungsnehmer fällig gewordene Kreditraten. Sie sahen auch vor: Der Versicherer leistet im Falle der Arbeitsunfähigkeit erstmalig an dem Fälligkeitstermin der Kreditrate, der dem Ablauf einer Sechs-Wochen-Frist ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit folgt. Der VKI klagte und bekam Recht.

Eine Konsumentin hatte im Rahmen eines Kreditvertrages einen Restschuldversicherungsvertrag bei der irischen CNP Santander Insurance Europe DAC abgeschlossen.

Der Versicherungsschutz umfasste unter anderem Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit, Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit. Die Besonderen Bedingungen enthielten unter anderem die folgenden Bestimmung:

  • in § 2 Pkt. 1: „Während der Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person bezahlt der Versicherer alle in dieser Zeit gegenüber dem Versicherungsnehmer fällig gewordene Kreditraten. […]“ und
  • in § 2 Pkt. 3 lit. a: „Eine Leistung wird im Falle der Arbeitsunfähigkeit erstmalig an dem Fälligkeitstermin der Kreditrate erbracht, welcher dem Ablauf einer Frist von 6 Wochen ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit folgt (=Karenzzeit).“

VKI klagt

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) ging gegen diese Klausel gerichtlich vor. Wie der VKI mitteilt, war die Versicherte an Long Covid erkrankt, es kam zu Phasen von Arbeitsunfähigkeit.

Für die ersten beiden Monate der Arbeitsunfähigkeit habe der Versicherer die Kreditraten überwiesen. Als nach einigen Monaten die Fälligkeit von drei Kreditraten in den Zeitraum einer erneuten Arbeitsunfähigkeit fiel, habe der Versicherer nur noch eine Kreditrate gezahlt, die beiden übrigen in Höhe von insgesamt 1.128,60 Euro hingegen nicht.

Die Position des VKI

Der VKI argumentierte, dass die Klausel nach der konsumentenfeindlichsten Auslegung die ersten sechs Wochen einer jeden neu eintretenden Arbeitsunfähigkeit aus dem Versicherungsschutz ausnehme.

Dies schränke den ursprünglich in Aussicht gestellten Versicherungsschutz durch eine ungewöhnliche Bestimmung in einer für den Verbraucher nachteiligen und unerwarteten Weise ein. Die Klausel verstoße deshalb gegen § 864a ABGB.

Sie sei außerdem in ihrem Wortlaut zweideutig und unverständlich. Für den Verbraucher sei nicht erkennbar, was die Klausel regelt; sie verstoße damit auch gegen das Transparenzgebot und sei daher gemäß § 6 Abs. 3 KSchG unwirksam.

Die Klausel widerspreche auch dem Transparenzgebot des § 879 Abs. 3 ABGB.

Die Position des Versicherers

Der Versicherer argumentierte dagegen, die Klausel sei marktüblich, sinnvoll und zweckmäßig. Der Versicherte müsse mit einer Bestimmung, die eine derartige Karenzzeit regle, rechnen, zumal auf diese mehrfach hingewiesen werde.

Aufgrund des Systems der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber im Krankheitsfall könne es nicht überraschend oder ungewöhnlich sein, dass die RSV erst nach einer Karenzzeit von sechs Wochen pro Arbeitsunfähigkeit greife – somit also erst, wenn der Versicherte einen finanziellen Nachteil aus seiner Arbeitsunfähigkeit erleide.

Versicherer verweist auf Infoblatt und IPID

Die gegenständliche Vertragsklausel sei nicht überraschend, weil sie sich auch im lediglich eine A4-Seite umfassenden „Infoblatt für Kunden“ sowie im „Restschuldversicherungsinformationsblatt zu Versicherungsprodukten“ („IPID“) befinde.

Im „Infoblatt“ stand unter der Überschrift „Für Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit bestehen folgende Karenzzeiten“ zu lesen: „Eine Leistung wir erstmalig an dem Fälligkeitstermin der Kreditrate erbracht, welcher dem Ablauf einer Frist von 6 Wochen ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Arbeitslosigkeit folgt (=Karenzzeit).“

Die Passage im IPID lautete: Eine Leistung wird im Falle von Arbeitslosigkeit erstmalig an dem Fälligkeitstermin Kreditrate erbracht, welcher dem Ablauf einer Frist von 6 Wochen ab Beginn der Arbeitslosigkeit folgt (=Karenzzeit).

Erstgericht: Klausel ist nachteilig …

Justitia (Bild: Tingey Injury Law Firm)
Bild: Tingey Injury Law Firm

Das Handelsgericht Wien stellte fest, die Klausel beschränke den Versicherungsschutz für den Eintritt einer jeden Arbeitsunfähigkeit pauschal für eine Karenzzeit von sechs Wochen unbedingt und ungeprüft.

Damit umfasse sie zwangsläufig auch Fälle, in denen kein Entgeltfortzahlungsanspruch des Versicherungsnehmers besteht, „beispielsweise bei grob fahrlässiger Herbeiführung der Arbeitsunfähigkeit oder Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs bei wiederholten Krankenständen innerhalb eines Jahres (§ 2 Abs 1 EFZG)“.

Die Klausel widerspreche damit dem erklärten Vertragszweck. Dieser bestehe darin, die Begleichung der Kreditraten in Zeiten sicherzustellen, in denen der Versicherungsnehmer keine Entgeltfortzahlung erhält. Das Gericht bewertete die Klausel folglich als für den Versicherungsnehmer nachteilig.

… aber verstößt trotzdem nicht gegen § 864a

Die Klausel befinde sich zwar an keiner unerwarteten Stelle des Vertragstextes. Nichtsdestoweniger sei sie im konkreten Zusammenhang für den Versicherungsnehmer überraschend, „weil er mit der Unterwerfung unter diese Klausel nicht rechnen musste, zumal sie den Erwartungen eines redlichen Versicherungsnehmers und dem Versicherungszweck widerspricht“.

Allerdings weise das IPID, das vor allem durch die optische Gestaltung „besonders auffällig ist“, Versicherungsnehmer auf die Klausel hin, sodass der Versicherer „davon ausgehen durfte und darf, dass der Kunde diese zur Kenntnis genommen und akzeptiert hat“.

Ein Verstoß gegen § 864a „liegt daher trotz Nachteiligkeit der Klausel mangels besonderen Hinweises nicht vor“.

Klausel ist gröblich benachteiligend

„Während § 864a ABGB darauf abstellt, inwieweit der Vertragspartner mit der betreffenden AGB-Klausel rechnen musste, orientiert sich § 879 Abs. 3 ABGB ausschließlich an einem inhaltlichen Kriterium, jenem der gröblichen Benachteiligung des Vertragspartners“, erklärte das Gericht weiter.

Und kam zur Ansicht: Die Klausel ist eine Nebenbestimmung, die den Konsumenten „in unsachlicher Weise gröblich“ benachteiligt und somit nichtig ist. Dafür nannte es mehrere Gründe:

  • Selbst wenn, wie der Versicherer anmerkte, die meisten Versicherten eine Entgeltfortzahlung innerhalb der ersten sechs Wochen erhielten, gelte dies nicht für alle Versicherten.
  • Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bestehe zudem nicht unbedingt, sondern setzt voraus, dass der Arbeitnehmer nach Antritt des Dienstes durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Arbeit verhindert ist.
  • Die Klausel berücksichtige nicht, dass bei wiederholter Arbeitsverhinderung durch Krankheit oder Unglücksfall innerhalb eines Arbeitsjahres ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgeltes nur insoweit bestehe, als die Dauer des Anspruchs gemäß § 2 Abs. 1 EFZG (insgesamt) noch nicht erschöpft ist. § 8 Abs. 1 AngG enthält eine gleich lautende Regelung für Angestellte, wobei sich aus § 8 Abs. 2 AngG ebenso die Deckelung des Anspruches auf den in § 8 Abs 1 AngG genannten Zeitraum bei wiederholter Dienstverhinderung innerhalb eines Arbeitsjahres, ergibt.

Gerade die Covid-19-Pandemie habe gezeigt, „dass Menschen sehr schnell und auch mehrmals innerhalb eines Jahres für längere Zeit (auch mehr als 6 Wochen)“ erkranken und arbeitsunfähig werden.

Es gebe also Zeiten, in denen weder ein Entgeltfortzahlungsanspruch noch eine Versicherungsleistung vom Versicherer bezogen werden könne, „so dass das Argument der Beklagten, wonach die Versicherungsnehmer entweder Lohnfortzahlung oder die Versicherungsleistung der Beklagten beziehe, unrichtig ist“.

Szenario mit zwei Kreditraten in der Sechs-Wochen-Frist

Zu berücksichtigen sei auch: In Fällen, in denen die erste Kreditrate beispielsweise zehn Tage nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit fällig wird und die zweite Kreditrate einen Monat später – „aber damit noch vor Ablauf der sechs Wochen Frist“ –, wäre der Versicherer für beide Raten leistungsfrei, wenn die Arbeitsunfähigkeit vor Fälligkeit der dritten Rate endet.

In der Klausel sei „lediglich von ‚der Kreditrate‘ – Singlular! – die Rede“. Schon dem Wortlaut nach sei also nur von der Deckung einer Rate auszugehen. Der Kreditnehmer bliebe demnach bei Fälligwerden von zwei Raten während der Karenzzeit von sechs Wochen jedenfalls auf einer „sitzen“, so das Gericht. „Die gröbliche Benachteiligung der Klausel liegt auf der Hand.“

Auch nach § 6 Abs. 3 KSchG beurteilte das Gericht die Klausel als unwirksam, „weil sie unklar oder unverständlich abgefasst ist“.

Versicherer geht in Berufung

Der Versicherer erhob gegen das Urteil Berufung beim Oberlandesgericht Wien.

Dieses stellte in seinem laut VKI rechtskräftigen Urteil zunächst fest, es könne als bekannt vorausgesetzt werden, dass in Österreich nach verschiedenen gesetzlichen Grundlagen bei krankheits- oder unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit unter gewissen Voraussetzungen für bestimmte Zeit weiterhin ein Entgeltanspruch besteht.

Es könne den Versicherungsnehmer also nicht überraschen, wenn sich der Versicherer vertraglich vorbehält, für den Zeitraum, in dem üblicherweise aufgrund der Entgeltfortzahlungsbestimmungen kein Entgeltausfall droht, keine Versicherungsleistung zu erbringen. Das Berufungsgericht Klausel habe keinen Überrumpelungseffekt.

Ein Verstoß gegen § 864a ABGB liege nicht vor, sodass es nicht mehr darauf ankommt, ob durch Aushändigung des IPID ein besonderer Hinweis im Sinn des § 864a ABGB erfolgt.

Widersprüchliche Interpretationen möglich

Eingehender widmete sich das OLG dann der Frage der Transparenz nach § 6 Abs. 3 KSchG. So hielt es unter anderem fest, die beiden eingangs erwähnten Bestimmungen könnten in ihrem Zusammenhang durchaus unterschiedlich interpretiert werden, nämlich

  • bloß als Festlegung eines späteren Fälligkeitszeitpunkts;
  • oder so, dass der Versicherer die während der ersten sechs Wochen nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit fällig werdenden Kreditraten nicht zahlen muss.

Die Regelung in § 2 spreche gegen die Auslegung des Versicherers, befand das OLG – zumal Punkt 1 ausspreche, dass der Versicherer während der Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person alle in dieser Zeit gegenüber dem Versicherungsnehmer fällig werdenden Kreditraten bezahlt.

Die Formulierung in § 2 Pkt. 3. lit a. sei „nicht eindeutig“. Auch der Begriff „Karenzzeit“, der „nicht erklärt wird“, könne die Auslegung des Versicherers nicht stützen.

Wenn man die Klausel aber im Sinne des Versicherers auslege, „dann steht sie im völligen Widerspruch“ zu § 2 Punkt 1. der AGB: „Der Versicherer würde dann ja (wie in § 2 Punkt 1. aber zugesichert wird) praktisch niemals (zumindest beim ganz typischen Fall monatlich fällig werdender Kreditrückzahlungen) alle in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit des Versicherungsnehmers fällig werdenden Kreditraten zahlen, sondern immer jedenfalls die erste und möglicherweise auch die zweite nicht.“

Klausel ist intransparent

Die Deckungseinschränkung „hätte problemlos klar und unmissverständlich formuliert“ werden können, stellte das Gericht fest.

E formulierte dazu auch ein Beispiel: „Während der Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person bezahlt der Versicherer alle mehr als sechs Wochen ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Versicherungsnehmer fällig werdenden Kreditraten; während der ersten sechs Wochen ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit ist der Versicherer leistungsfrei.“

Resümee: Die in den AGB gewählte Formulierung „mit dem Widerspruch zwischen den beiden Klauseln“ könne beim Versicherungsnehmer den Eindruck erwecken, dass der Versicherer auch die während der ersten sechs Wochen seiner Arbeitsunfähigkeit fällig werdenden Kreditraten zahlen wird, seien ersten Zahlungen aber erst bei Fälligkeit der zweiten (oder allenfalls auch erst der dritten) Kreditrate nach Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit erbringen muss.

„Somit erweist sich die Klausel als (gemäß § 6 Abs. 3 KSchG) unwirksam, weshalb der Berufung nicht Folge zu geben ist.“ Auf die Frage, ob die Klausel auch gemäß § 879 Abs 3 ABGB nichtig wäre, „muss nicht mehr eingegangen werden“.

Zum Herunterladen

Der VKI hat das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Mai 2023 (24 Cg 49/22x) und das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 27. Februar 2024 (3 R 112/23x) auf seiner Website verbraucherrecht.at zum Herunterladen bereitgestellt.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Berufsunfähigkeit · Darlehen · Erwerbsunfähigkeit · Ipid
 
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