5.4.2024 – Zwar bestimmten die Bedingungen für den Mietrechtsschutz, dass Versicherungsschutz für die neue Wohnung erst besteht, wenn der Mietvertrag für die ursprüngliche Wohnung beendet ist. Da aber für Streitigkeiten aus dem Abschluss des neuen Mietvertrags Versicherungsschutz bestand, wenn dieser innerhalb von sechs Monaten vor Beendigung des Vertrags für die vorhergehende Wohnung erfolgte, kommt es zu einer Vorverlagerung des Versicherungsschutzes für die neue Wohnung, so der OGH. Der Versicherer muss Deckung gewähren.
M.T. und J.T. hatten im Jahr 2011 eine Wohnung gemietet; diesen Mietvertrag kündigten sie am 29. März 2021, Kündigungstermin war der 30. Juni 2021. Einen Tag zuvor, am 28. März, schlossen sie einen Mietvertrag für eine neue Wohnung ab; das Mietverhältnis begann am 1. Mai 2021.
Aufgrund von Mängeln dieser neuen Wohnung, die bereits mit Mietbeginn am 1.5.2021 bestanden, planen sie gegen die Vermieterin rechtlich vorzugehen. Dafür fordern sie von ihrem Rechtsschutzversicherer Rechtsschutzdeckung.
M.T. hatte eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, für die die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2007) vereinbart waren; J.T. ist mitversichert. Die Versicherung beinhaltete auch den Baustein „Rechtsschutz für Grundstückseigentum und Miete“.
Nachdem der Versicherer die Deckung abgelehnt hatte, reichten M.T. und J.T. Deckungsklage ein.
Quelle: RIS |
2. Was ist versichert? Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Verfahren vor österreichischen Gerichten je nach Vereinbarung 2.1. aus Miet- und Pachtverträgen; Die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen umfasst auch 2.1.1. die Geltendmachung oder Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen; 5. Wartefrist Für Versicherungsfälle, die vor Ablauf von drei Monaten ab dem vereinbarten Versicherungsbeginn eintreten, besteht kein Versicherungsschutz. 6. Wann verlängert sich der Versicherungsvertrag oder wann endet er vorzeitig? 6.1. Endet der Versicherungsvertrag durch Risikowegfall gem. § 68 Versicherungsvertragsgesetz, umfasst die vereinbarte Deckung nach Pkt. 2.1. auch Versicherungsfälle, die innerhalb von sechs Monaten ab Risikowegfall eintreten. 6.2. Bezieht der Versicherungsnehmer innerhalb von zwölf Monaten ab Risikowegfall an Stelle der bisherigen Mietwohnung eine andere Mietwohnung und wünscht er für diese Ersatzwohnung die Fortsetzung des Vertrages, so besteht für die Ersatzwohnung ohne neuerliche Wartefrist Versicherungsschutz gem. Pkt. 2.1. ab Beginn des Mietvertrages für die Ersatzwohnung, frühestens aber ab Beendigung des Mietvertrages für die ursprünglich versicherte Wohnung. Für Streitigkeiten aus dem Abschluss des neuen Mietvertrages besteht Versicherungsschutz, wenn der Abschluss frühestens sechs Monate vor Beendigung des alten Mietvertrages erfolgte. |
Die Kläger argumentieren, dass Artikel 24.6.2 ARB 2007 einen nahtlosen Versicherungsschutz beim Wechsel eines Bestandsobjektes sicherstellen soll. Daher sei die Wortfolge „ab Beendigung des Mietvertrages“ im Sinne von „ab der Kündigung des Mietvertrages“ auszulegen.
Andernfalls würde eine unerwartete Deckungslücke bestehen. Es sei bei einem Wohnungswechsel nämlich üblich, dass sich das Ende des alten und der Beginn des neuen Mietvertrags überlappen. Widersprüche zwischen dem ersten und dem zweiten Satz des Art. 24.6.2 gingen zu Lasten des Versicherers.
Der Versicherer erklärt dagegen, dass der erste Satz des Art. 24.6.2 einen Versicherungsschutz für zwei nebeneinander bestehende Bestandsverhältnisse verhindern soll. Eine gleichzeitige Deckung für zwei aufrechte Bestandsverhältnisse sei nicht möglich.
Da der Versicherungsfall am 1. Mai 2021 eingetreten sei und zu diesem Zeitpunkt der alte Mietvertrag noch aufrecht war, bestehe keine Versicherungsdeckung, so der Versicherer.
Das Erstgericht gab der Klage statt, das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es erklärte, für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer seien zwei Auslegungen des Begriffs „Beendigung“ möglich.
Er könne darunter entweder das Ende des Mietvertrags an sich verstehen oder jenes aktive Tun, welches das Ende herbeiführen soll, also die Kündigung. Der Begriff sei daher undeutlich und gemäß § 915 ABGB zum Nachteil des Versicherers auszulegen.
Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil diese Klausel bisher vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden ist und die Auslegung von Klauseln regelmäßig erhebliche Rechtsfragen aufweise.
In seiner rechtlichen Beurteilung betont der OGH einleitend, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen seien. Dabei sei der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck der Bestimmung zu berücksichtigen.
Im vorliegenden Fall sei ein Risikowegfall nach § 68 VersVG dann gegeben, wenn das Miet- oder Pachtverhältnis endet. Allerdings würden die Bedingungen eine Nachdeckung vorsehen, Versicherungsschutz bestehe auch für Versicherungsfälle, die innerhalb von sechs Monaten nach dem Risikowegfall eintreten.
Beziehe der Versicherungsnehmer innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung eines Mietverhältnisses eine andere Mietwohnung, so könne er den Vertrag ohne neuerliche Wartezeit für einen Versicherungsschutz fortsetzen, frühestens aber nach Beendigung des alten Mietvertrags.
Der Ansicht des Berufungsgerichts, dass ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer unter dem Begriff „Beendigung des Mietvertrags“ auch die Kündigung des Mietverhältnisses versteht, widerspricht der OGH.
Als juristischer Laie werde er die Begriffsfolge „Beendigung des Mietvertrages“ als tatsächliches Ende des Mietverhältnisses und nicht als Erklärung, das Mietverhältnis künftig zu beenden, verstehen, so der OGH.
Dazu komme, dass das Auslegungsergebnis der Vorinstanzen bei der Beurteilung einer Beendigung von befristeten und unbefristeten Mietverhältnissen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen würde, da bei letzteren eine Auflösungserklärung nötig ist, erstere aber durch Zeitablauf enden.
Während der erste Satz des Art. 24.6.2 einen nahtlosen Übergang des Versicherungsschutzes vom bisherigen Mietobjekt auf das danach folgende gewährleiste, stelle der zweite Satz nicht auf den Bezug der neuen Wohnung, sondern auf den Abschluss des neuen Mietvertrags ab.
Ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer müsse dies als Sonderregelung verstehen, dass zusätzlich aus dem neuen Mietverhältnis resultierende Streitigkeiten versichert sind, wenn der neue Vertrag innerhalb der genannten Fristen abgeschlossen wird.
Damit führe der zweite Satz des Art. 24.6.2. zu einer Vorverlagerung des Versicherungsschutzes für die neue Wohnung.
Dem Argument des Versicherers, dass kein Versicherungsschutz für zwei nebeneinander bestehende Bestandsverhältnisse vorgesehen sei, hält der OGH entgegen, dass für den ursprünglichen Vertrag eine Nachhaftung bestehe, auch wenn Versicherungsschutz für eine neue Wohnung existiere.
Im vorliegenden Fall sei der Versicherungsschutz auf die neue Wohnung nach Ende des vorherigen Mietverhältnisses am 1.7.2021 übergegangen.
Da aber der Mietabschluss für die neue Wohnung innerhalb von sechs Monaten vor dem Ende des bisherigen Mietverhältnisses erfolgte, kam es zur Vorverlagerung des Versicherungsschutzes. Der Versicherer habe daher für den am 1. Mai 2021 eingetretenen Versicherungsfall Deckung zu gewähren.
Die Revision des Versicherers erwies sich als nicht berechtigt.
Die OGH-Entscheidung 7Ob4/24z vom 6. März 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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