23.4.2024 – Eine Firma war beauftragt, beigestellte Wechselrichter in Gehäuse einzubauen. Beim Abladen der gelieferten Wechselrichter auf dem Firmengelände erlitt einer einen Totalschaden. Der Betriebshaftpflichtversicherer sah aber kein betriebliches Risiko auf Seiten der Firma verwirklicht. Mehrere Aus- und Einschlüsse standen zur Debatte. Der OGH entschied, dass der Versicherer aufgrund einer Besonderen Bedingung im Zusammenhang mit Schäden infolge gewerblicher oder beruflicher Tätigkeit deckungspflichtig ist.
Die S. GmbH hatte das später klagende Unternehmen beauftragt, Gehäuse für – von der S. GmbH beigestellte – Wechselrichter anzufertigen und diese darin einzubauen.
Hersteller und Absender der Wechselrichter war die V. GmbH. Als Spediteurin fungierte die H. GmbH, als Frachtführerin die A. s.p.
Empfängerin der Wechselrichter war die Klägerin, die die Wechselrichter in die von ihr anzufertigenden Gehäuse einbauen sollte.
Wenn schwere Geräte geliefert werden, wird das Entladen immer von der Klägerin durchgeführt, weil sie die dafür nötigen Geräte auf dem Betriebsgelände hat.
Am 8. April 2021 wurden also die Wechselrichter geliefert. Ein Mitarbeiter der Klägerin wollte einen Wechselrichter mit einem Gabelstapler vom Lkw abladen.
Als er ihn etwa 15 cm von der Ladefläche anhob und den Stapler zurücksetzte, passierte das Mussgeschick: Der Wechselrichter kippte zur Seite und erlitt einen Totalschaden.
Ein Fall für die Betriebshaftpflichtversicherung, meint man in dem Unternehmen und berief sich auf die Besonderen Bedingungen (BB) 7858 und 7878. Allerdings kam es zum Rechtsstreit um die Feststellung der Deckung.
Besondere Bedingung Nr. 7858 | Besondere Bedingung Nr. 7878 |
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Quelle: RIS | |
Verwahrung von beweglichen Sachen 1. Die Bestimmungen gemäß Pkt. 3. gelten ausschließlich für solche beweglichen Sachen, die der Versicherungsnehmer oder die für ihn handelnden Personen zur Bearbeitung, Verarbeitung oder Reparatur übernommen haben. […] 3. Der Versicherungsschutz bezieht sich abweichend von Art. 7, Punkte 10.2 und 10.3 AHVB auch auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an beweglichen Sachen gemäß Pkt. 1. aus dem Titel der Verwahrung, und zwar auch im Zuge der Verwahrung als Nebenverpflichtung oder im Rahmen von bloßen Gefälligkeitsverhältnissen. Schäden an diesen Sachen, die bei oder infolge ihrer Benützung, Beförderung, Bearbeitung oder einer sonstigen Tätigkeit an oder mit ihnen entstehen, bleiben gemäß Art. 7, Pkt. 10.4 AHVB vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. […] | Tätigkeiten an beweglichen Sachen 1. Abweichend von Art. 7, Pkt. 10.4 AHVB erstreckt sich die Versicherung auch auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an beweglichen Sachen, die bei oder infolge einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers an oder mit diesen Sachen (Bearbeitung, Reparatur, Prüfung und dgl.) entstehen, sei es auch im Zuge der Verwahrung als Nebenverpflichtung. 2. Vom Versicherungsschutz ausgeschlossen bleiben: 2.1 Schäden an Sachen, die der Versicherungsnehmer oder die für ihn handelnden Personen entliehen, gemietet oder geleast haben; 2.2 Schäden an motorbetriebenen Fortbewegungs- und Transportmitteln, Luftfahrzeugen, Luftfahrgeräten und Wasserfahrzeugen; 2.3 Schäden an elektronischen Datenverarbeitungsanlagen und -geräten (Beispiel: PCs, Server, Laptops, PDAs) sowie Computer und Datenträgermedien aller Art; 2.4 Schäden durch Restaurierung an Schmuck, Kunstgegenständen aller Art, Antiquitäten und sonstige Kostbarkeiten; 2.5 Beförderungen aller Art außerhalb des Betriebsgeländes des Versicherungsnehmers, und außerhalb des Betriebsgeländes des jeweiligen Kunden des Versicherungsnehmers. 3. Die Versicherungssumme beträgt im Rahmen der Pauschalversicherungssumme EUR 200.000,--. […] |
Der Versicherer vertrat den Standpunkt, der Schaden habe sich nicht im versicherten Betrieb der Klägerin ereignet, somit habe sich kein versichertes Risiko verwirklicht.
Im Übrigen, so der Versicherer, würde der Risikoausschluss gemäß Artikel 7.10.4 AHVB 2006 vorliegen.
Die Besonderen Bedingungen würden zwar den Risikoausschluss abändern, kämen aber auf den vorliegenden Fall nicht zur Anwendung.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht hingegen entschied im Sinne des Versicherers.
Der Wortlaut der BB 7857 lasse keinen Zweifel: Die Deckung für Schadenersatzpflichten aus dem Be- und Entladen fremder Fahrzeuge werde darin so geregelt, dass Beschädigungen des Ladegutes selbst nicht versichert sind.
Die BB 7857 beziehe sich auf den gesamten Artikel 7.10. AHVB 2006. Somit sei nicht davon auszugehen, dass Beschädigungen am Ladegut über die BB 7858 und 7878 in die Deckung einbezogen werden sollen.
Besondere Bedingung Nr. 7857 | AHVB 2006 |
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Quelle: RIS | |
Be- und Entladung von fremden Fahrzeugen und fremden Containern 1. Der Versicherungsschutz bezieht sich abweichend von Art. 7, Punkte 5.3 und 10. AHVB auch auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an fremden Land- und Wasserfahrzeugen sowie fremden Containern bei – oder infolge – des Beladens oder Entladens durch: – Hebe- und Verlademaschinen aller Art sowie durch Hand; Versicherungsschutz besteht auch für Schäden an Containern beim Abheben von und Heben auf Land und Wasserfahrzeuge. Nicht versichert sind Haftpflichtansprüche aus Beschädigung, Verlust, Vernichtung oder Abhandenkommen des Ladegutes. […] | Artikel 1 Was gilt als Versicherungsfall und was ist versichert? 1.1 Versicherungsfall ist ein Schadenereignis, das dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen (Pkt. 2) erwachsen oder erwachsen könnten. […] Artikel 7 Was ist nicht versichert? (Risikoausschlüsse) […] 10. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an […] 10.4 beweglichen Sachen, die bei oder infolge ihrer Benützung, Beförderung oder Bearbeitung oder einer sonstigen Tätigkeit an oder mit ihnen entstehen; […]“ |
Der Oberste Gerichtshof (OGH) sah das anders. Er ging zunächst auf das Argument ein, der Wechselrichter sei im Betrieb der Frachtführerin A. entladen worden, weil das Be- und Entladen als Verwendung eines Kfz anzusehen und daher deren Kfz-Haftpflichtversicherung zuzuordnen sei.
Der OGH bekräftigte im Zusammenhang mit Artikel 7.5.3. AHVB: Wenn sich beim Be- und Entladen nicht primär die vom Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr, sondern vor allem ein betriebliches (Fehl-)Verhalten verwirklicht hat, greife der Risikoausschluss nicht.
Genau das sei hier der Fall. Ein Mitarbeiter habe das Gerät entladen, und in der Folge habe sich das spezifische Risiko des Gabelstaplers, schwere Gegenstände von einem Lkw zu entladen, realisiert. „Damit ist der Schaden im Betrieb der Klägerin eingetreten.“
Das Erstgericht habe auch nicht feststellen können, dass vereinbart gewesen wäre, dass die Frachtführerin die Wechselrichter abladen muss. „Deren Tätigkeit war daher mit der Beförderung der Ware zum Betriebsgelände der Klägerin abgeschlossen, sie war nicht zum Ausladen verpflichtet“, so der OGH.
Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin für den Entladevorgang verantwortlich war – umso mehr, als „für die Beteiligten ersichtlich wohl nur die Klägerin über die zur Entladung notwendigen Geräte an Ort und Stelle verfügte“.
Danach äußerte sich der OGH zum Risikoausschluss des Artikels 7.10.4 AHVB 2006. Der Schaden sei an einer beweglichen Sache – dem Wechselrichter – bei einer Tätigkeit der Versicherungsnehmerin (Abladen) entstanden. Dieser Ausschluss greife daher.
Die Klägerin vertrat den Standpunkt, dass der Schaden aufgrund der in den Besonderen Bedingungen enthaltenen sekundären Risikoeinschlüsse doch gedeckt sein muss.
Zur BB 7857 konstatierte der OGH: Das Ladegut wurde im Zuge des Entladevorgangs beschädigt, „sodass sich die Versicherungsdeckung nicht aus der BB 7857 ergeben kann“.
Der Ansicht der Klägerin, es handle sich um keinen Entladevorgang (mehr), weil der Wechselrichter bereits von der Ladefläche abgehoben worden war, als er zur Seite kippte, konnte der OGH nichts abgewinnen, „war doch der Abladevorgang zu diesem Zeitpunkt eindeutig noch nicht abgeschlossen“.
Aus dem Bedingungswerk lasse sich aber nicht ableiten, dass diese Bedingung Schäden im Zuge von Be- und Entladevorgängen abschließend regeln solle.
Die BB 7858 enthält bestimmte Risikoeinschlüsse für die Verwahrung von beweglichen Sachen. „Da das Ladegut im Zuge des Abladevorgangs beschädigt wurde, kann sich die Versicherungsdeckung auch nicht aus der BB 7858 ergeben“, stellte der OGH fest.
Diese Besondere Bedingung basiere nämlich auf der Überlegung: Beschädigungen während der Verwahrung selbst sollen vom Versicherungsschutz umfasst sein, nicht aber Schäden, die infolge einer Tätigkeit des Versicherungsnehmers entstehen.
Bleibt noch die BB 7878: Sie schließt Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an beweglichen Sachen ein, die bei oder infolge einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers an oder mit diesen Sachen entstanden sind.
Im vorliegenden Fall ist der Schaden zwar nicht bei oder infolge einer Bearbeitung, Reparatur oder Prüfung – diese drei Tätigkeiten werden in der Klausel angeführt – entstanden. Allerdings, so der OGH, „ist die Aufzählung in der BB 7878 nur beispielhaft (arg. ‚und dgl‘)“.
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne dem Klausel-Wortlaut somit nicht entnehmen, „dass Schäden bei einem Abladevorgang nicht von der BB 7878 umfasst sind, solange die bewegliche Sache bei oder infolge der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers an oder mit dieser Sache beschädigt wurde“ – und das sei hier unzweifelhaft der Fall.
Für den OGH spricht auch die „Systematik des Bedingungswerks“ für diese Auslegung: Wenn
so könne der durchschnittliche Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass ein Schaden gedeckt ist,
Ergebnis: Der Schaden ist durch BB 7878 gedeckt.
Die OGH-Entscheidung 7Ob159/23t vom 6. März 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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