18.9.2025 – Jedes dritte Wohngebäude liegt in einer Risikozone für Flusshochwasser, Schäden durch Oberflächenabfluss können nahezu jedes Wohngebäude in Österreich schon bei niedrigem Wasserstand in Mitleidenschaft ziehen. Darauf macht Experte Franz Prettenthaler aufmerksam. Rund eine Viertelmilliarde Euro Schaden könne durch Flusshochwasser im Schnitt pro Jahr entstehen. Prävention könne die Summe aber deutlich senken. Der VVO baut weiter auf eine gemeinsame Lösung von öffentlicher Hand und Versicherungswirtschaft.
Sturm, Hagel, Blitzschlag, Erdrutsch, Hochwasser, Starkregen, Vermurung, Dürre – Naturgefahren haben in Österreich in den letzten Jahren zu versicherten Schäden in Höhe von durchschnittlich rund einer Milliarde Euro geführt.
Daran erinnerte Christian Eltner, Generalsekretär des Versicherungsverbandes (VVO), am Mittwoch zu Beginn einer VVO-Pressekonferenz in Graz. 2024 sei mit 1,7 Milliarden Euro versicherten Schäden das teuerste Natkat-Jahr gewesen. Allein auf das September-Hochwasser entfielen rund 700 Millionen Euro.
2025 sind größere Natkat-Schäden zwar bislang ausgeblieben. Der vergleichsweise ruhige Sommer spiegle den großen Trend allerdings nicht wider, sagte VVO-Vizepräsident Klaus Scheitegel. Katastrophenszenarien „werden wiederkommen“.
Christian Schimanofsky, Direktor des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV), sagte, es sei für jeden Einzelnen wichtig, sich mit diesem Thema zu beschäftigten, damit Vorbereitungen für den Katastrophenfall getroffen werden können.
Allerdings bestehe ein „wesentliches Manko an Wissen“: In einer KFV-Umfrage gaben laut Schimanofsky 71 Prozent an, nicht über Gefahrenzonenpläne informiert zu sein. 61 Prozent fühlen sich unzureichend darüber informiert, wie sie sich vorbereiten können.
Zwei Drittel (68 Prozent) der Befragten meinen, dass Maßnahmen zur Risikominimierung eher von der Gemeinde getroffen werden sollten, die Hälfte (50 Prozent) sieht diese Aufgabe (auch) beim Bund angesiedelt, 48 Prozent beim Bezirk, 42 Prozent bei Katastrophenschutz-Einrichtungen. Dass Prävention auch Aufgabe jedes Einzelnen ist, unterschreiben nur 38 Prozent.
Schimanofsky rief deshalb auf, sich über Risiken zu informieren – und zwar bevor etwas passiert –, zum Beispiel auf hora.gv.at, sowie sich für Ernstfälle zu wappnen. Denn Prävention sei auch mit einfachen Mitteln möglich, etwa in Form von mobilen Dammsystemen oder Rückstauklappen. Das koste nicht viel, habe aber große Wirkung.
„2024 war ein Weckruf“, sagte Franz Prettenthaler, Direktor des Instituts für Klima, Energiesysteme und Gesellschaft bei Joanneum Research Forschungs-GmbH, mit Blick auf die September-Ereignisse und dem damaligen gleichzeitigen Auftreten von Flusshochwasser und Hangwasser – wofür schon eine leichte Steigung genüge – durch Starkregen.
Wolkenbrüche würden immer häufiger. Das habe mit der Erderwärmung zu tun: Ein Grad Erwärmung bedeute, dass die Luft um etwa sieben Prozent mehr Wasser speichern kann. Im alpinen Raum liege die Erwärmung bereits bei zwei Grad, ein im internationalen Vergleich hoher Wert.
Österreich ist nahe am Wasser gebaut.
Franz Prettenthaler, Joanneum Research
„Österreich ist nahe am Wasser gebaut“, meinte Prettenthaler. Die Kehrseite dessen, dass Österreich das „Wasserschloss Europas“ sei, sei, dass sich in der Wohnumgebung viel Wasser befindet.
Ein Team von Experten habe das Hochwasserschadenmodell neu kalibriert und ein Starkregen-Überschwemmungsmodell für Gebäude in Österreich erstellt, berichtete Prettenthaler. 2,16 Millionen Wohngebäude sind in diesem Modell erfasst.
Wie sich zeigte, liegen davon 5,2 Prozent in der Risikozone für ein 30-jährliches Hochwasser („HQ30“), 7,7 Prozent in einer HQ100-Zone, 10,0 Prozent in einer HQ300-Zone und 11,6 Prozent in einer als HQ300-Zone mit Restrisiko.
Diese Neukalibrierung habe ergeben, dass Flusshochwasser einen jährlichen Schaden von durchschnittlich 240 Millionen Euro erwarten lässt, bei einer kalkulierten Bandbreite von 222 bis 264 Millionen Euro. Der Kapitalbedarf, den „wir als Gesellschaft ansparen müssen“, um für ein 200-jährliches Ereignis vorzusorgen, betrüge 5,6 Milliarden Euro.
Durch Prävention ließe sich die Schadenerwartung aber stark reduzieren, führte Prettenthaler weiter aus. Ein Objektschutz, der gegen nur 5 cm Hochwasser schützt, würde bereits eine 13-prozentige Verringerung bewirken, ein Objektschutz bis 60 cm sogar eine 53-prozentige.
Der erwartete jährliche Schaden könnte damit also bis auf ein Ausmaß von 106 bis 124 Millionen Euro gedrückt werden, das notwendige Kapital für ein 200-jährliches Ereignis auf (mindestens) 2,88 Milliarden Euro – ein Einsparungspotenzial, das auch dem Finanzminister entgegenkommen müsste, wie Prettenthaler nebenbei bemerkte.
Während es bei Flusshochwasser geographisch bedingt Risiko-„Hotspots“ gibt, sieht es bei Oberflächenabfluss in Folge von Starkregen anders aus: Hier gibt es quer durch ganz Österreich kaum Unterschiede, wie Prettenthaler zeigte.
Vor einem solchen Ereignis sei keine Region sicher. Es handle sich um eine Zufallsvariable – je nachdem, wo sich eine Wolke entlädt. Dementsprechend ist auch schon bei geringen Wasserständen von nur wenigen Zentimetern die ganz große Mehrheit der Wohngebäude von diesem Risiko erfasst.
Investitionen in die Transformation hin zur Klimaneutralität, betonte Prettenthaler, zahlten sich deshalb in den nächsten Jahrzehnten aus, und zwar mit dem Sechsfachen dessen, was diese Investitionen kosten. Jede Wärmepumpe, jede PV-Anlage, jedes Elektroauto, das an Stelle eine Verbrenners genutzt wird, trage dazu bei.
Scheitegel zeigte sich „guten Mutes“, dass es gelinge, „eine solidarische Lösung mittelfristig auf den Weg zu bringen“, also eine Partnerschaft von Staat und Privatwirtschaft. Je größer die Solidarität, desto einfacher sei die Prämienkalkulation – und eine Situation, in der Naturgefahren „nicht mehr versicherbar sind“, wolle man vermeiden.
Auch Prettenthaler plädierte dafür, eine „gemeinsame Plattform“ von öffentlicher Hand und Versicherungswirtschaft anzustreben – denn das „Nebeneinander“ funktioniere nicht.
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