13.11.2025 – Datenarbeit ist Sisyphos-Arbeit. Wartet man mit dem Analysieren so lange, bis sie beendet ist, wird man nie zur Analyse kommen. Denn: „Perfekte“ Daten gibt es nicht. Parallel und Schritt für Schritt vorzugehen, ist deshalb angezeigt. – Von Versicherungsmathematiker Christoph Krischanitz.

„Und was machen Sie beruflich?“
„Ich bin Mathematiker.“
Plötzliche Stille – und ein medusahafter durchdringender Blick, der sich mit der endlosen Weite des Universums bricht – und dann das Unvermeidliche.
„Ich bewundere alle, die Mathematik verstanden haben, ich war immer schlecht in Mathe.“
Jetzt wieder Stille – diesmal von mir. Soll ich’s sagen? Lieber nicht. Also versuch ich es so:
„Ich analysiere Unternehmensdaten und suche nach Mustern in den Daten, berechne Forecasts und bewerte Risiken.“
„Ah ja. Ich hab’ mir das auch angeschaut, aber unsere Daten geben nichts her. Die Datenqualität ist nicht gut genug.“
Moment. Wie war das? Er hat die Daten angeschaut und sie auf ihre Analysefähigkeit beurteilt? Und er war schlecht in Mathematik und hat sie nicht verstanden? Wie geht das zusammen?
Ich habe es gleich gespürt, ich stehe auf verlorenem Posten. Aber ich versuche es trotzdem:
„Ich könnte ja mal über Ihre Daten drüberschauen, ob sich vielleicht nicht doch die eine oder andere sinnvolle Information extrahieren lässt.“
„Wie gesagt, ich hab’s mir schon angeschaut. Wir setzen gerade ein Projekt auf, um die Datenqualität zu verbessern. Wir haben da einen jungen Daten-Scientist eingestellt. Der macht das.“
Ich habe verloren. War klar seit dem ersten Moment. Meine einzige Freude jetzt ist die Schadenfreude. Denn eines weiß ich ganz gewiss: Das „Projekt“ ist in zehn Jahren noch nicht fertig und wird es auch niemals werden.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand:
Daten sind das Logbuch der Unternehmensaktivitäten. Jede Aktion, ob im Vertrieb, in der Produktion oder im HR hinterlässt Spuren, die aufgezeichnet werden. Dass diese Aufzeichnungen oft „schlecht“, also nicht von ausgezeichneter Qualität sind, liegt auf der Hand. Aber sind sie deshalb nutzlos?
Datenqualität lässt sich nur im Kontext beurteilen. Und der Kontext ist frei wählbar und vom Analyseziel abhängig. Auch aus vermeintlich schlechten Daten lassen sich wertvolle Informationen ziehen.
Und by the way: Es gibt keine perfekten Daten. Kaum sind die Daten sauber, sind sie schon veraltet. Und zu jeder noch so erfolgreichen Analyse (wirklich nach jeder) kommt eine Zusatzfrage, die aus den Daten heraus nicht beantwortet werden kann.
Datenarbeit ist also Sisyphos-Arbeit. Kaum bist du oben, fliegst du wieder ganz hinunter und fängst von vorne an.
Das heißt nicht, dass Datenarbeit nicht wichtig ist. Aber sie erfolgt idealerweise parallel zu den Analysen und immer „step by step“, sodass man aus jedem Schritt sofort den Mehrwert der verbesserten Datenbasis nutzen kann.
Zuerst die Datenarbeit und dann die Analyse – das führt zu nichts, denn die Datenarbeit wird nie fertig. Und für die Analyse ist es dann zu spät. Aber der Daten-Scientist ist sowieso nicht mehr da …
Christoph Krischanitz
Der Autor ist Versicherungsmathematiker (profi-aktuar.at) und verfügt über langjährige Erfahrung in der aktuariellen Beratung. Krischanitz war von 2004 bis 2019 Vorsitzender des Mathematisch-Statistischen Komitees im Versicherungsverband (VVO), von 2008 bis 2014 Präsident der Aktuarvereinigung Österreichs (AVÖ). Derzeit ist er unter anderem Chairman der Arbeitsgruppe Non-Life Insurance in der Actuarial Association of Europe (AAE).
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