2.9.2025 – Der Versicherungsvertrag sah vor, dass kein Versicherungsschutz besteht, wenn ein Deckungsanspruch mehr als zwei Jahre nach Beendigung des Vertrags geltend gemacht wird. Weil diese Frist zur freien Disposition des Versicherers steht, sei sie nicht von Amts wegen wahrzunehmen, wenn sich der Versicherer in einer Ablehnung nicht auf sie beruft, so der Oberste Gerichtshof.
Eine Versicherungsnehmerin hatte im Jahr 2012 einen Versicherungsvertrag abgeschlossen, der 2014 durch einen Folgevertrag ersetzt wurde; letzterer enthielt eine Unfallversicherung sowie die Sparten Familien-Rechtsschutz und Verkehrs-Rechtsschutz.
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2019, das am 23. Oktober 2019 per Einschreiben an die Versicherungsnehmerin gesandt wurde, kündigte der Versicherer die beiden Rechtsschutz-Sparten.
Am 23. Juni 2022 ersuchte die Versicherungsnehmerin um Rechtsschutzdeckung für eine Klage gegen eine Bank wegen zu viel verrechneter Bankzinsen. Der Versicherer lehnte die Deckung mit einem E-Mail vom 27. Juni qualifiziert ab. Die Versicherungsnehmerin reichte daraufhin Klage ein.
Die Bedingungen der Rechtsschutzversicherung enthielten in Artikel 3 Bestimmungen für den zeitlichen Geltungsbereich. Demnach erstreckte sich der Versicherungsschutz grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrags eintraten.
Für den Fall, dass ein Deckungsanspruch später als zwei Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrags für das betroffene Risiko geltend gemacht wird, bestand laut Bedingungen kein Versicherungsschutz.
Dies galt unabhängig davon, wann der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalles erlangt.
Das Erstgericht wies die Klage der Versicherungsnehmerin ab, das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf. Es stehe nicht fest, ob und wann die Versicherungsnehmerin das Kündigungsschreiben des Versicherers erhalten hat.
Damit könne die behauptete Beendigung des Versicherungsvertrags nicht beurteilt werden. Zwar habe der Versicherer die Deckung im Sinn des § 12 Abs. 3 VersVG qualifiziert abgelehnt. Die Ausschlussfrist sei zwar abgelaufen, der Versicherer habe sich auf diese aber nicht berufen.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs beim Obersten Gerichtshof zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob es sich bei der Frist des § 12 Abs. 3 VersVG um eine Präklusivfrist handelt, die von Amts wegen wahrzunehmen ist.
In seiner rechtlichen Beurteilung erklärt der OGH einleitend, dass § 12 VersVG in Abs. 1 eine Verjährung von Versicherungsansprüchen enthält, während es sich bei der in Abs. 3 genannten Frist um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt.
Diese Frist werde durch eine endgültige und qualifizierte Ablehnung ohne Rücksicht auf deren Richtigkeit in Lauf gesetzt, so der OGH. Nach Ablauf dieser Frist gehe der Versicherungsschutz ungeachtet der materiellen Rechtslage unter, auch wenn dies unverschuldet geschah.
Es sei im Einzelfall zu prüfen, ob für eine Frist, die die Dauer des Rechts von vorneherein begrenzt, die Regeln für die Verjährung sinnvoll anzuwenden sind. Bei gewissen Ausschlussfristen verneine die Rechtsprechung deren amtswegige Wahrnehmung.
Im vorliegenden Fall sei es strittig, ob die Frist des § 12 Abs. 3 VersVG von Amts wegen wahrzunehmen ist. Die Beantwortung dieser Frage sei zwar in der österreichischen Literatur uneinheitlich, der OGH halte aber daran fest, dass die Frist nur über Einwendung wahrzunehmen ist.
Zweck der Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VersVG sei es, die Berechtigung einer Deckungsablehnung möglichst rasch zu klären und die mit fortschreitender Zeit verbundenen Beweisschwierigkeiten zu vermeiden. Beides liege im Interesse des Versicherers.
Der Versicherer sei umfassend befugt, über die Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VersVG zu disponieren. Es sei ihm allein überlassen, ob und wann er die Ausschlussfrist mit einer qualifizierten Deckungsablehnung in Gang setzt.
Außerdem könne der Versicherer eine laufende Frist auch nachträglich verlängern und selbst nach Eintritt der Präklusion (Ablauf eines Rechts, Anm.) auf die Geltendmachung der Rechtsfolgen verzichten. Damit stehe die Berufung auf den Fristablauf zu seiner Disposition.
Aufgrund der Rechtslage und der Ähnlichkeit der Zielsetzung bei einer Verjährung sei im Fall des § 12 Abs. 3 VersVG eine analoge Heranziehung des § 1501 ABGB gerechtfertigt, wonach der Ablauf der Frist nicht von Amts wegen, sondern nur über Einwendung der Parteien wahrzunehmen ist.
Damit habe das Berufungsgericht „zutreffend erkannt“, dass die amtswegige Wahrnehmung der Präklusion nach § 12 Abs. 3 VersVG mangels Einwendung durch den beklagten Versicherer ausscheide, so der OGH.
Dem Rekurs des Versicherers wurde nicht Folge gegeben. Im fortgesetzten Verfahren müssten daher Feststellungen zum Zugang des Kündigungsschreibens getroffen werden. Auch sei zu klären, ob die behaupteten Ansprüche als einziger oder als mehrere Versicherungsfälle anzusehen sind.
Darauf aufbauend müsse geklärt werden, ob der Versicherungsfall bzw. die Versicherungsfälle während der Laufzeit des Versicherungsvertrags eingetreten ist bzw. sind; dies müsse von der Versicherungsnehmerin bewiesen werden.
Die OGH-Entscheidung 7Ob97/25b vom 7. August 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
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