OGH klärte Streit um Pflegegeld für deutsche Staatsangehörige

14.7.2025 – Für die Gewährung von Pflegegeld sei die „Wohnsitzfiktion“ zugrunde zu legen, so der Oberste Gerichtshof. Hätte die Rentnerin ihren Wohnsitz in Deutschland, so wäre sie dort zum Abschluss einer Krankenversicherung verpflichtet; Deutschland sei auch für pflegebedingte Leistungen zuständig. Eine Selbstversicherung in Österreich sei für die Gewährung von Pflegegeld nicht zu berücksichtigen. Die Klage der Rentnerin wurde abgewiesen.

Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

Eine deutsche Staatsbürgerin hat seit 1986 ihren Wohnsitz in Österreich. Sie ist mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und war bis zu dessen Pensionierung bei ihm krankenversichert. Seit 2001 ist sie in der österreichischen Krankenversicherung selbstversichert.

Von der deutschen Rentenversicherung bezieht sie eine Altersrente inklusive eines Zuschusses zur privaten Krankenversicherung in Höhe von insgesamt 804,80 Euro. In Deutschland leistet sie weder Krankenversicherungsbeiträge noch Beiträge zu einer privaten Pflegeversicherung.

2023 stellte sie bei der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt den Antrag auf Gewährung von Pflegegeld. Dieser Antrag wurde mit Bescheid abgelehnt; da sie der Krankenversicherung in Deutschland zugehörig sei, sei dieser Staat auch für pflegebedingte Leistungen zuständig.

Leistungsanspruch aus Krankenversicherung in Österreich

Gegen diesen Bescheid reichte die Rentnerin Klage ein. Sie argumentiert, der rentenauszahlende Staat sei nur dann für Geldleistungen bei Krankheit zuständig, wenn jemand in dem Staat, in dem er wohnt, keinen primären Leistungsanspruch bei Krankheit habe.

Sie sei seit mehr als 20 Jahren in der österreichischen Krankenversicherung selbstversichert; damit habe sie einen primären Leistungsanspruch in Österreich. Gemäß § 3a Absatz 2 Bundespflegegeldgesetz (BPGG) sei sie österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.

Die Pensionsversicherungsanstalt erklärt dagegen, dass nach § 3a Absatz 1 BPGG nur dann Anspruch auf Pflegegeld besteht, wenn nicht ein anderer Mitgliedstaat gemäß Verordnung (EG) 883/2004 für Pflegeleistungen zuständig ist; in diesem Fall sei Deutschland für solche Leistungen zuständig.

Berufungsgericht stützt sich auf Wohnsitzfiktion

Während das Erstgericht der Klage stattgab und erklärte, dass Österreich für Pflegeleistungen zuständig sei, weil die Klägerin einen primären Leistungsanspruch aus der österreichischen Krankenversicherung habe, wies das Berufungsgericht das Klagebegehren ab.

Es erklärte dazu, dass für Rentner, die keinen primären Leistungsanspruch für den Fall einer Krankheit in dem Mitgliedstaat haben, in dem sie wohnen, bei Krankheiten grundsätzlich der rentenauszahlende Staat und nicht der Wohnmitgliedstaat zuständig sei.

Es komme aber nicht darauf an, ob tatsächlich eine Krankenversicherung im Wohnmitgliedstaat besteht. Hätte die Klägerin ihren Wohnsitz in Deutschland, so hätte sie jedenfalls einen eigenständigen Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit.

Unter Zugrundelegung dieser „Wohnsitzfiktion“ würde die in Deutschland bestehende Pflichtversicherung dem Recht auf Selbstversicherung in Österreich entgegenstehen. Für Geldleistungen wie Pflegegeld bleibe daher ausschließlich Deutschland zuständig.

Argumente der Klägerin

Die Rentnerin legte Revision beim Obersten Gerichtshof ein. Diese wurde zur Frage zugelassen, ob eine Selbstversicherung Grundlage für die Zuständigkeit Österreichs für die Gewährung von Pflegegeld sein kann, wenn Pflegebedürftige ausschließlich eine Rente aus Deutschland beziehen.

Die Klägerin argumentiert, sie sei in Österreich im Rahmen der Selbstversicherung krankenversichert und sie verfüge in keinem anderen Mitgliedstaat der Union über eine Krankenversicherung. Daraus ergebe sich eine Anspruchsberechtigung nach § 3a Absatz 1 BPGG.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts bedeute eine Diskriminierung einer Unionsbürgerin aufgrund der Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat und verstoße gegen den Grundsatz der Freizügigkeit.

Die Wohnsitzfiktion würde sie faktisch dazu zwingen, eine private Krankenversicherung im rentenauszahlenden Staat abzuschließen. Es bestehe keine Versicherungspflicht in Deutschland, in Österreich liege ein eigenständiger Leistungsanspruch vor.

Rentenauszahlender Staat ist zuständig für Pflegegeld

Für die Gewährung von Pflegegeld an Pensionisten bzw. Rentner mit einer Pension oder Rente eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union sei in der Regel der pensionsauszahlende Staat und nicht der Wohnsitzstaat zuständig, so der OGH in seiner rechtlichen Beurteilung.

Voraussetzung dafür sei, dass im rentenauszahlenden Staat aufgrund des Rentenanspruchs eine Einbeziehung in die Krankenversicherung dieses Staates besteht oder unter Zugrundelegung der Wohnsitzfiktion bestünde.

Es sei nicht entscheidend, dass die Klägerin in Deutschland tatsächlich keinen Wohnsitz hat und damit nicht zum Abschluss einer privaten Krankenversicherung verpflichtet sei. Entscheidend sei nur, dass sie bei Anwendung der Wohnsitzfiktion in die Krankenversicherung Deutschlands einbezogen wäre.

Selbstversicherung für Pflegegeld nicht zu berücksichtigen

Ebenfalls spiele es keine Rolle, dass sie seit Jahrzehnten in die österreichische Krankenversicherung einzahlt und daraus im Krankheitsfall auch Leistungen erhalten habe, womit nach nationalem Recht von einer zulässigen und aufrechten Selbstversicherung auszugehen sei.

Es komme nämlich bei der Anwendung der Kollisionsregeln der Verordnung (EG) 883/2004 „gerade nicht“ auf die innerstaatliche Beurteilung des Versicherungsverhältnisses an.

Und auch nach nationalem Recht würde eine bestehende Krankenversicherung keinen Anspruch auf Pflegegeld begründen, da das BPGG für einen Anspruch auf Pflegegeld nicht auf eine Einbeziehung in die Krankenversicherung abstelle, so der OGH.

Ansprüche auf Sachleistungen aus der österreichischen Krankenversicherung aufgrund einer Selbstversicherung seien daher für die Gewährung von Pflegegeld nicht zu berücksichtigen, wenn ein Pflegebedürftiger unter Zugrundelegung einer Wohnsitzfiktion im rentenzahlenden Mitgliedstaat in die Krankenversicherung dieses Staats einbezogen wäre.

Soziale Sicherheit nicht garantiert

Dass die Klägerin aufgrund der Leistungszuständigkeit Deutschlands nicht alle Anspruchsvoraussetzungen nach innerstaatlichem Recht erfüllt, bedeute keine Diskriminierung im Sinne des Artikels 4 VO (EG) 883/2004, da diese Beurteilung nicht auf ihrer Staatsangehörigkeit beruhe.

Auch ihr Recht auf Freizügigkeit werde nicht verletzt, so der OGH. Das bloß koordinierende Sozialrecht der Europäischen Union schaffe nämlich kein einheitliches, harmonisiertes europäisches Sozialversicherungssystem, sondern lasse das Sozialrecht der Mitgliedstaaten grundsätzlich unberührt.

Es werde einem Erwerbstätigen nicht garantiert, dass die Ausweitung seiner Tätigkeit auf mehr als einen Mitgliedstaat oder deren Verlagerung in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Rentnerin nicht Folge.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 10ObS40/25t vom 3. Juni 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Pension  · Pflegeversicherung · Private Krankenversicherung · Rente  · Senioren · Sozialrecht · Sozialversicherung
 
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