WERBUNG

OGH zum Fahren auf Sicht in der Dämmerung auf Autobahnen

3.9.2025 – Zwar habe der gegnerische Versicherer nicht nachweisen können, dass der beim Unfall verletzte Autofahrer gegen die Verpflichtung verstoßen hat, auf Sicht zu fahren, so der OGH. Allerdings hat der Lenker eine erhebliche Reaktionsverzögerung zu verantworten, weil er ohne Sichtbehinderung ausreichend Zeit gehabt hätte, den Unfall zu vermeiden.

Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

Ein Fahrzeug war am 9. September 2019 gegen 20.10 Uhr in Hartberg auf die Autobahn aufgefahren, beschleunigte zuerst auf mehr als 180 km/h, musste dann eine Notbremsung einleiten, geriet ins Schleudern und blieb schließlich unbeleuchtet gegen die Fahrtrichtung am ersten Fahrstreifen stehen.

Ein anderer Autofahrer war mit rund 120 km/h mit Abblendlicht unterwegs. Als er das am ersten Fahrstreifen stehende Fahrzeug bemerkte, lenkte er sein Auto 1,6 Sekunden vor der Kollision auf den Pannenstreifen, konnte aber einen seitlichen Anstoß mit rund 85 km/h nicht verhindern.

Hätte der Fahrer, der bei dem Unfall verletzt wurde, 4,1 Meter und 0,13 Sekunden früher reagiert, hätte er dem Fahrzeug auf der ersten Fahrspur innerhalb von 45 Metern ab Gefahrenerkennung noch ausweichen können

Zum Unfallzeitpunkt war es dämmrig, ob entgegenkommende Fahrzeuge die Fahrbahn ausleuchteten, konnte nicht festgestellt werden. Das Fahren mit Abblendlicht erlaubt aufgrund der Leuchtweite nur eine Geschwindigkeit von maximal 80 km/h; bei dieser wäre der Zusammenstoß vermieden worden.

Mitverschulden wegen Abblendlichts?

Der verletzte Fahrer erhielt von seiner Dienstgeberin während seines Krankenstands vom 10.9. bis zum 29.12.2019 Lohnfortzahlungen und anschließend bis 29.1.2020 eine halbe Entgeltfortzahlung von insgesamt 28.226,21 Euro.

Der Haftpflichtversicherer des anderen Fahrzeugs leistete an die Dienstgeberin einen Betrag von 10.000 Euro. In einer Klage fordert diese nun den Restbetrag. Der Unfall sei auf das Alleinverschulden des Unfallgegners zurückzuführen, der eine eklatante Geschwindigkeitsüberschreitung verantworte.

Der Versicherer argumentiert, dem Dienstnehmer der Klägerin sei ein zumindest gleichteiliges Mitverschulden anzulasten, weil er beim Fahren mit Abblendlicht seine Geschwindigkeit hätte reduzieren müssen, wodurch der Unfall vermieden worden wäre.

Das Erstgericht sah eine Schadensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Unfallgegners; der Dienstnehmer der Klägerin hätte beim Fahren mit Abblendlicht seine Geschwindigkeit verringern müssen, außerdem verantworte er eine Reaktionsverspätung. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

OGH zum Fahren auf Sicht auf Autobahnen

Die Klägerin legte daraufhin Revision beim Obersten Gerichtshof ein. Dieser geht einleitend auf § 20 Absatz 1 StVO ein. Demnach habe ein Fahrzeuglenker auf Sicht zu fahren und seine Geschwindigkeit so einzurichten, dass er beim Auftauchen eines Hindernisses unfallverhütend reagieren kann.

Selbst auf Autobahnen dürfe ein Lenker bei Dunkelheit nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke rechtzeitig halten kann. Sei die Verwendung des Fernlichts nicht möglich, habe er seine Geschwindigkeit entsprechend zu reduzieren.

Auf mehrspurigen Autobahnen könne es aber ausreichen, wenn auf unvermutet auftauchende Hindernisse durch eine gezielte Ausweichbewegung ohne Gefährdung anderer Straßenbenützer unfallverhütend reagiert werden kann.

Auch sei für die Wahl der Geschwindigkeit nicht nur das eigene Abblendlicht, sondern auch Licht aus anderen Lichtquellen von Bedeutung. Bei einer Beleuchtung der Fahrbahn durch vorausfahrende oder entgegenkommende Fahrzeuge werde das Gebot des Fahrens auf Sicht nicht verletzt.

Verstoß gegen Fahren auf Sicht nicht bewiesen

Grundsätzlich müsse der Versicherer einen Verstoß gegen Sorgfaltspflichten behaupten und beweisen. Es sei ihm aber im vorliegenden Fall nicht gelungen, zu beweisen, dass der verletzte Fahrzeuglenker gegen § 20 Absatz 1 StVO verstoßen hat.

Es konnte nämlich nicht festgestellt werden, ob angesichts des Dämmerlichts und der Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge die Sichtweite mit der Leuchtweite des Abblendlichts beschränkt war; damit konnte ein Verstoß gegen § 20 Absatz 1 StVO „gerade nicht festgestellt werden“, so der OGH.

Erhebliche Reaktionsverzögerung

Wenn aber noch keine vollständige Dunkelheit geherrscht habe und die Fahrbahn von anderen Fahrzeugen hinreichend ausgeleuchtet war, wie es die Klägerin behauptet, dann verantworte ihr Dienstnehmer eine erhebliche Reaktionsverspätung.

Da es auch keine anderen Sichtbehinderungen gegeben habe, hätte er das Fahrzeug des Unfallgegners spätestens aus einer Entfernung von 100 Metern wahrnehmen müssen. Er hätte daher noch anhalten oder aus einer Entfernung von 45 Metern noch ausweichen können.

Diese erhebliche Reaktionsverzögerung müsse berücksichtigt werden, auch wenn den Unfallgegner aufgrund seiner exorbitant überhöhten Geschwindigkeit das weitaus überwiegende Verschulden an dem Unfall trifft. Der OGH bestätigte die Schadensteilung von 1: 3 zu Lasten des Versicherers.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 2Ob37/25t vom 3. Juni 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

 
WERBUNG
WERBUNG
Ihr Wissen und Ihre Meinung sind gefragt

Ihre Leserbriefe können für andere Leser eine wesentliche Ergänzung zu unserer Berichterstattung sein. Bitte schreiben Sie Ihre Kommentare unter den Artikel in das dafür vorgesehene Eingabefeld.

Die Redaktion freut sich auch über Hintergrund- und Insiderinformationen, wenn sie nicht zur Veröffentlichung unter dem Namen des Informanten bestimmt ist. Wir sichern unseren Lesern absolute Vertraulichkeit zu! Schreiben Sie bitte an redaktion@versicherungsjournal.at.

Allgemeine Pressemitteilungen erbitten wir an meldungen@versicherungsjournal.at.

Täglich bestens informiert!

Der VersicherungsJournal Newsletter informiert Sie von montags - freitags über alle wichtigen Themen der Branche.

Ihre Vorteile

  • Alle Artikel stammen aus unserer unabhängigen Redaktion
  • Die neuesten Stellenangebote
  • Interessante Leserbriefe

Jetzt kostenlos anmelden!

VersicherungsJournal in Social Media

Besuchen Sie das VersicherungsJournal auch in den sozialen Medien:

  • Facebook – Ausgewähltes für den Vertrieb
  • Twitter – alle Nachrichten von VersicherungsJournal.at
  • Xing News – Ausgewähltes zu Karriere und Unternehmen
Weitere Artikel aus Versicherungen & Finanzen
2.9.2025 – Ein Rechtsschutzversicherer hatte die Deckung eines Versicherungsfalles nach Beendigung des Vertrags abgelehnt, sich dabei aber nicht auf die im Vertrag vereinbarte Ausschlussfrist berufen. Dem Obersten Gerichtshof stellte sich die Frage, ob die Frist trotzdem vom Gericht zu berücksichtigen sei. (Bild: Tingey Injury Law Firm) mehr ...
 
29.8.2025 – Das Produkt wird in Österreich, Kroatien und Slowenien angeboten. mehr ...