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Unfall im Ausland, Gegner nicht versichert: OGH fragt EuGH

10.11.2025 – Eigentlich könnte der geschädigte Österreicher auch den Fachverband der Versicherungsunternehmen klagen – allerdings nicht an seinem Wohnort Salzburg, sondern in Wien. Er bevorzugte aber eine Direktklage gegen den slowenischen Garantiefonds. Der Fall landete beim OGH, dieser wiederum ersucht den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung, ob eine solche Klage mit europäischem Recht vereinbar ist.

Bild: Tingey Injury Law Firm
Bild: Tingey Injury Law Firm

Ein Österreicher, der im Sprengel des Landesgerichts Salzburg wohnt, war am 11. Oktober 2024 auf einer kroatischen Autobahn in einen Verkehrsunfall verwickelt. Das Fahrzeug seines Unfallgegners war zwar in Slowenien zugelassen, aber nicht haftpflichtversichert. 

In einer Klage fordert er vom slowenischen Garantiefonds Schadenersatz in Höhe von knapp 28.000 Euro. Er argumentiert, den gegnerischen Fahrzeuglenker treffe das Verschulden am Unfall, der Garantiefonds hafte anstelle eines Haftpflichtversicherers in derselben Weise wie ein solcher. 

Der slowenische Garantiefonds weist die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück. Er sei kein Versicherungsunternehmen, die versicherungsrechtlichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO) seien deshalb nicht anwendbar. 

Die grundsätzliche Möglichkeit einer Direktklage bestreitet der Garantiefonds allerdings nicht. 

Vorinstanzen weisen Klage ab

Erst- und Rekursgericht wiesen die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit ab. Wer kein Versicherungsunternehmen betreibt, sei auch kein Versicherer im Sinne der Brüssel Ia-VO.

Darüber hinaus gewährleiste diese Bestimmung, dass der Geschädigte in einem Fall wie dem vorliegenden eine Entschädigung bei der Entschädigungsstelle im Wohnsitzmitgliedstaat beantragen kann, weshalb ein weitergehender Rechtsschutz nicht notwendig sei.

Der Kläger legte daraufhin Revisionsrekurs beim Obersten Gerichtshof ein, in dem er eine die Zuständigkeit bejahende Entscheidung anstrebt. Er sei gegenüber der slowenischen Entschädigungsstelle die schwächere Partei im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

EU-Rechtsgrundlagen

Artikel 11 Absatz 1 lit b der VO (EU) Nr. 1215/2012 bestimmt, dass ein Versicherer eines Mitgliedstaats bei Klagen eines Versicherungsnehmers vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, verklagt werden kann.

Daraus leite der EuGH in ständiger Rechtsprechung ab, dass ein Geschädigter eine nach dem anwendbaren Recht mögliche Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners an seinem eigenen Wohnsitz erheben kann, erläutert der OGH.

Artikel 10 der Richtlinie 2009/103/EG über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in ihrer aktuellen Fassung verlangt, dass von den Staaten Stellen eingerichtet werden, die eine Entschädigung sicherstellen, wenn das verursachende Fahrzeug nicht versichert war oder nicht ermittelt werden kann. 

Weiters bestimmt die Richtlinie, dass sich Unfallopfer unmittelbar an die Entschädigungsstelle im Wohnsitzmitgliedstaat wenden können. Endschuldner ist der Garantiefonds des Mitgliedstaates, in dem das nicht versicherte Fahrzeug, durch dessen Nutzung der Unfall verursacht wurde, seinen gewöhnlichen Standort hat.

Österreichisches Recht

Umgesetzt wurde die RL 2009/103/EG in Österreich im Bundesgesetz über die Entschädigung von Verkehrsopfern (VOEG). Entschädigungsstelle im Sinn der Richtlinie ist der Fachverband der Versicherungsunternehmen.

Dieser hat, wenn trotz bestehender Versicherungspflicht kein Versicherungsvertrag bestand, Leistungen so zu erbringen, als ob ihnen ein Schadenersatzanspruch des Verkehrsopfers und das Bestehen einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zugrunde lägen.

Demnach hat der Fachverband an Personen mit inländischem Wohnsitz auch eine Entschädigung für Personen- und Sachschäden zu leisten, wenn der Schaden in einem anderem EWR-Vertragsstaat verursacht wurde. 

Wer als Versicherer gilt

Im vorliegenden Fall gehe der Kläger davon aus, dass die beklagte slowenische Entschädigungsstelle wie ein Haftpflichtversicherer hafte, so der OGH. Es stelle sich daher die Frage, ob die Bestimmungen der Brüssel Ia-VO auch in diesem Fall anwendbar sind.

Orientiere man sich am Wortlaut der Bestimmungen, so könnten nur solche Personen als Versicherer anzusehen sein, die tatsächlich ein Versicherungsunternehmen betreiben. Im vorliegenden Fall biete die Entschädigungsstelle aber keine Versicherungsdienstleistungen für andere Personen an.

Sie könne nur als zuständige Stelle für Entschädigungen im Sinne des Artikels 10 der RL 2009/103/EG in Anspruch genommen werden. In der Literatur werde vertreten, dass Stellen, die nur die Kommunikation mit einem Versicherer vereinfachen oder als dessen Auszahlungsstellen fungieren, keine Versicherer sind, betont der OGH.

Allerdings solle die Entschädigungsstelle nicht die Kommunikation vereinfachen oder eine schnellere Auszahlung sicherstellen, sondern bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Haftung den Schaden wie ein Haftpflichtversicherer selbst tragen.

Schutz des Geschädigten

Grundsätzlich schließe der Wortlaut der Brüssel Ia-VO nicht aus, dass auch Personen oder Stellen, die nach den Regeln des Haftpflichtrechts anstelle des Lenkers oder Halters eines Kraftfahrzeugs den Schaden des Geschädigten tragen müssen, als Versicherer zu verstehen sind, so der OGH.

Die Versicherungspflicht nach der RL 2009/103/EG stelle sicher, dass ein Geschädigter unabhängig von der finanziellen Lage des Schädigers Ersatz erhält. Die Regelung des Klägergerichtsstands laut Brüssel Ia-VO wiederum solle bei grenzüberschreitenden Fällen die Durchsetzung dieses Anspruchs erleichtern.

Damit würden beide Regelungen dem Schutz des Geschädigten dienen und in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen.

Keine Schlechterstellung bei Verletzung der Versicherungspflicht

„Offenkundig“ wolle der europäische Gesetzgeber, dass ein Verstoß gegen die Versicherungspflicht nicht zu einer Schlechterstellung des Unfallgeschädigten führt. Würde die Brüssel Ia-VO nur Klagen gegen Versicherungsunternehmen erfassen, würde der Geschädigtenschutz aber bei grenzüberschreitenden Fällen unterlaufen.

Das spreche für die Annahme, dass auch Entschädigungsstellen als Versicherer im Sinne der Brüssel Ia-VO anzusehen sind; das könnte im vorliegenden Fall auch für die slowenische Entschädigungsstelle gelten.

OGH ersucht EuGH um Entscheidung

Grundsätzlich seien allerdings Zuständigkeitsvorschriften, die eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz des Gerichtsstands am Wohnsitz des Beklagten vorsehen, eng auszulegen.

Dazu komme, dass der Geschädigte ohnehin die Entschädigungsstelle in seinem Wohnsitzmitgliedstaat in Anspruch nehmen kann. Im konkreten Fall wäre dies aber nicht der Wohnsitz des Klägers, sondern der Sitz des Fachverbands der Versicherungsunternehmen.

Die Systematik des Geschädigtenschutzes erfordere es daher nicht zwingend, Entschädigungsstellen aus anderen Mitgliedstaaten als Versicherer im Sinn der Verordnung anzusehen und dem Geschädigten eine Klage an seinem Wohnsitz zu ermöglichen.

Weil aber auch die vom Kläger vertretene Auslegung möglich sei, hat der OGH den Europäischen Gerichtshof um Entscheidung ersucht, ob auch Entschädigungsstellen im Sinn des Artikels 10 der RL 2009/103/EG Versicherer im Sinn der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sind.

Direktklage möglich?

Für den Fall, dass der EuGH diese Frage bejaht, sei zu prüfen, ob im vorliegenden Fall eine Direktklage gegen die slowenische Entschädigungsstelle zulässig ist. Artikel 25 Absatz 1 der RL 2009/103/EG sehe nämlich einen Direktanspruch nur gegen die Entschädigungsstelle im Wohnsitzstaat des Geschädigten vor.

Die slowenische Entschädigungsstelle hafte dabei nur als Endschuldner. Dies spreche gegen die Zulässigkeit einer gegen diese erhobenen Direktklage, betont der OGH. Allerdings habe der Kläger einen Direktanspruch behauptet, was die Entschädigungsstelle „in keiner Weise“ bestritten habe.

Der OGH ersucht deshalb den EuGH auch um die Entscheidung der Frage, ob es für die Inanspruchnahme einer Entschädigungsstelle am Wohnsitz des Geschädigten ausreicht, dass die beklagte Entschädigungsstelle die vom Kläger behauptete Zulässigkeit einer Direktklage nicht bestreitet.

Die Entscheidung im Volltext

Die OGH-Entscheidung 2Ob108/25h vom 23. Oktober 2025 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.

Schlagwörter zu diesem Artikel
Haftpflichtversicherung · Rechtsschutz
 
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